Religion – raus aus der Öffentlichkeit?
Drei recht unterschiedliche Exponenten beteiligten sich am Gespräch: Andreas Kyriacou vertrat als Präsident der Freidenker-Vereinigung Schweiz die Verursacher der Diskussion. Marc Jost, Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) repräsentierte die Organisatoren, und Andreas Nufer, Pfarrer der Heiliggeistkirche Bern, stand für die Anliegen der Landeskirche ein. Jan Dino Kellenberger moderierte das Gespräch.
Gegen Privilegien – für Verhaltensregeln
Andreas Kyriacou begründete und relativierte die Forderung, dass Religion aus der Öffentlichkeit zu verschwinden habe. Ihn stört, dass es trotz der steigenden Zahl religiös Distanzierter weiterhin Privilegien wie die öffentliche Anerkennung von Kirchen gibt. Ebenso nervt er sich an aggressiver religiöser Werbung in der Öffentlichkeit, wie sie etwa die Zeugen Jehovas oder die Salafisten mit der Aktion «Lies!» betreiben. Oder am Verteilen von Bibeln vor Schulhäusern. Missionare müssten Spielregeln einhalten wie etwa NGOs oder «technology evangelists», die öffentlich ihre «Mission» bekanntmachen. Statt öffentlich-rechtliche Anerkennung für Kirchen müsse es gleiche Rechte und Bedingungen für alle religiösen Gemeinschaft geben. Das Beispiel Genf ist für ihn o.k., wo das Tragen religiöser Symbole für Lehrpersonen und andere staatliche Angestellte verboten ist. Im Parlament würde er sie allerdings nicht verbieten, denn dort herrsche ja Transparenz über die Herkunft der Mitglieder.
Es gibt auch eine Wissenschaft über Gott
Eine erste Gegenposition vertrat Pfarrer Andreas Nufer. Anders als bei Kyriacou ist der Begriff «Mission» für ihn hierzulande negativ belegt, so weit es um Religion geht, weil man ihn mit religiöser Kolonisierung und Gewaltanwendung verbinde. Und dies, obwohl auch Firmen eine «Mission» haben und etwas öffentlich bekannt machen wollen. Wegen den Missbräuchen kirchlicher Mission in Kolonialländern habe sich in den Kirchen des Ökumenischen Rates der Begriff «Missio Dei» entwickelt, der postuliere, dass Mission primär von Gott selbst ausgehe. Religionsfreiheit bedeutet für ihn, dass jeder seine Religion frei leben darf und niemand gezwungen oder überredet werden darf, sie zu wechseln. «Ich sage keinem Moslem, dass er Christ werden sollte. Wichtig ist für ihn der Dialog.
Wissenschaftliche Erkenntnis und ihre Grenzen
Gegen das Argument von Kyriacou, dass die zentralen Fragen der Menschheit wissenschaftlich plausibel beantwortet werden können, zum Beispiel durch die Evolutionstheorie, konterte Nufer mit dem Argument, auch die Theologie sei eine Wissenschaft, die eben über die Menschen, die Welt und Gott nachdenke. «Gott hat uns nebst dem Verstand auch das Herz, den Glauben und die Liebe gegeben.» Am kirchlichen Personal liege es, das Evangelium immer wieder so zu übersetzen, dass es verstanden werde. Zudem seien die Themen aufzugreifen, welche die Menschen beschäftigen, aktuell die Themen Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung. Wer damit öffentlich werbe, müsse sich aber an Verhaltensregeln halten.
Staatliche Leistungen an Kirchen legitim oder überholt?
Die Sonderstellung der Landeskirchen und ihre Verbindung zum Staat begründet Nufer mit dem Nutzen für die Öffentlichkeit, insbesondere auch durch die vielen Freiwilligen. «Der Wert für die Gesellschaft ist gigantisch». Zudem vergüte der Staat den Kirchen nur gemeinnützige und keine kultischen Leistungen. Kyriacou konterte mit dem Argument, Leistungsaufträge für gemeinnützige Leistungen der Kirchen seien zwar o.k., oft würden den Kirchen aber Leistungen vergütet, weil man es ja schon immer so gemacht habe, die aber nicht mehr marktkonform seien. Zudem seien die Grenze zwischen Gemeinnützigem und Kultischem oft verwischt. Öffentlich-rechtliche hält er für überholt.
Die Tendenz zum Abdrängen der Religion ins Private
Marc Jost vertritt als EVP-Grossrat im Kanton Bern auch den Staat. Er stellt fest, dass die Stimmung gegenüber Religion und Kirchen zunehmend kritischer wird. Was in Genf geschehen ist, steht für ihn als Beispiel da. Zum andern beobachtet er eine Bevorzugung von Landeskirchen gegenüber andern religiösen Organisationen. Jost: «Es gibt eine Tendenz, die Religion in den privaten Raum abzudrängen.» Bei den Freidenkern vermisst er vor allem die Wertschätzung der Spiritualität, die wesentlich für die Bewältigung des Alltags sei. Gegenüber Nufer betonte er die Freiheit, auch andere Menschen vom eigenen Glauben überzeugen zu dürfen. «Ein echter Dialog darf den Andern auch überzeugen.»
Religionsfreiheit in Genf eingeschränkt?
Auf die Frage eines Zuhörers, ob die Religionsfreiheit nicht eingeschränkt werde, wenn für Staatsangestellte religiöse Symbole verboten würden, meinte Jost: «Für mich geht das zu weit!» Er sieht darin eine Überreaktion des Staates Genf. Bezüglich Evangelisation und Mission betont Jost, die Begriffe seien eher zu meiden, es sei zu erklären, was man konkret tue. «Die Gesellschaft hat falsche Hemmungen, über Glaube und Religion zu reden, auch in Berufswelt und Politik. Er wies dabei auch auf den «innerchristlichen Ethikkodex für Mission» hin, den die Evangelische Allianz unterzeichnet habe.
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Datum: 07.03.2019
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet