Sie schreibt Bücher mit ihren Füssen
Simea Schwab (*1970) lebt in Kerzers und ist seit 25 Jahren freischaffende Theologin. Sie wurde ohne Arme und mit missgebildeten Beinen geboren. «Ich bin kleingewachsen, gerade 1,30 gross, meine Beine sind ungleich lang und meine Füsse dienen mir als Hände.» Als Single lebt sie alleine und wird durch Spitex und Haushaltshilfe unterstützt. Trotz ihrer Beeinträchtigung steht sie dem Leben positiv gegenüber und bringt sich ins gesellschaftliche Leben ein. Doch das war nicht immer so.
Ein besonderer Dienst
Simea war engagiert. Nach ihrer kaufmännischen Ausbildung und einem Theologiestudium in England machte sie eine weitere Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin. Dies alles ohne Arme und Hände. Schreiben erlernte sie mit den Füssen. Und sie schreibt gerne. Ihre Begabung, sich zu formulieren, drückt sie auch gerne mündlich aus. «Ich mache Schulungen, gebe Vorträge. Dies mehrheitlich in der Erwachsenenbildung, aber auch mit Jugendlichen, zum Beispiel in der kirchlichen Unterweisung.» Punktuell übernimmt sie auch Predigtdienste. Und: Simea schreibt Bücher. Mit ihren Füssen.
«Authentisches Christsein ist mir wichtig», kommt Simea auf eines ihrer liebsten Themen zu sprechen. Von frommer Schönfärberei hält sie nichts. Dies würde niemandem etwas nützen. «Es fasziniert mich zu sehen, wie Gott gerade in unseren Beschränkungen stark wird.» Es gibt also keinen Grund, eigene Schwächen zu verbergen. «Beeinträchtigungen haben wir alle», sagt sie. «Auch wenn dies normalerweise nicht so ausgeprägt ist, wie bei mir.» Die Grundlage für einen authentisch gelebten Glauben ist die Erkenntnis, dass der Mensch im Ebenbild Gottes geschaffen und somit unsagbar wertvoll ist. Es verwundert nicht, dass die Botschaft des menschlichen Wertes gerade aus ihrem Mund viele Menschen erreicht.
Totaler Absturz
2018 erlitt Simea eine schwere Depression. Im selben Jahr stürzte sie und schlug sich die Zähne auf. Als wäre Depression und die langsame Erholung vom Sturz nicht schon genug, erlitt sie wenige Wochen später auch noch eine Hirnblutung und musste im Krankenhaus behandelt werden. «Ich hatte das Gefühl, als würde Gott mich einfach fallenlassen.» Sie war nicht mehr in der Lage, Vorträge zu halten. «Ich habe nicht gerade viele Begabungen, doch jetzt verlor ich noch die wenigen, die ich hatte. Ich habe alles verloren.» Wozu war sie noch da? Von der scheinbaren Sinnlosigkeit ihres Lebens wurde sie fast erdrückt. «Ich konnte nicht mehr glauben, dass Gott mich liebt.»
«Ich verbrachte neun Wochen in der psychiatrischen Klinik, anschliessend kümmerte sich meine Familie um mich.» Ihr Glaube schien ihr nicht zu helfen, sie wollte weder Gottesdienste besuchen, noch beten oder die Bibel lesen. «Mit einer Psychiaterin sprach ich über Themen, wie die Konsequenzen von Suizid.»
Das Pensum ist nicht das Entscheidende
Die Monate vergingen und langsam ging es aufwärts. «Irgendwann begann es in meinem Innern wieder zu singen.» Die Lebensfreude kehrte zurück und Simea begann sich erneut als wertvollen Menschen zu empfinden. Doch auch wenn ihr Lebensmut heute zurück ist, hat sich ihr Leben verändert. «Seit dem Schnitt 2018 arbeite ich nicht mehr viel.» Zuvor hatte sie eine 50 Prozent IV Rente gehabt und geglaubt, dass sie durchaus in der Lage war, das halbe Pensum einer «normalen» Person stemmen zu können. «Ich merke aber, dass weniger mehr ist», sagt sie heute und beschränkt sich auf maximal zwei Einsätze pro Monat.
Auch die Arbeitszeiten im Büro muss Simea einschränken. «Zu lange am Computer zu arbeiten, ist für mich nicht gut.» Wenn sie an einem Manuskript schreibt, kann sie schon einmal die Zeit vergessen und die Stunden vergehen im Flug. «Plötzlich realisiere ich: Jetzt muss ich dringend aufhören.» Erneut musste Simea ein Ja zu ihren Beschränkungen finden und sich mit ihrer Situation versöhnen. Letztlich ist ihr Wert nicht von ihrem geleisteten Arbeitspensum abhängig, sondern davon, dass sie in Gottes Ebenbild erschaffen wurde.
Neue Lebensfreude, neues Buch
Kürzlich veröffentlichte Simea ihr drittes Buch mit dem Titel «Fussnotizen: begrenzt – grenzenlos». Dabei werden verschiedene Themen, auch politische und gesellschaftliche, behandelt – kurz: Dinge, welche Simea beschäftigen. Sie äussert sich zur Fortpflanzungsmedizin, Euthanasie/Exit oder Umgang von Asylsuchenden und einmal mehr zu authentischem Christsein. Das Buch besteht aus einzelnen Texten, welche sie zum grössten Teil schon vor ihrer Krise verfasst hatte.
«Es geht auch um meine Erfahrungen und meine Lebenswelt.» Wie schon in ihrem ersten Buch «Fussnotizen: aus meinem Leben» erzählt Simea viel aus ihrer Biografie und gibt Einblick in den Lebensalltag von Menschen mit Beeinträchtigung. «Während der Coronazeit machten viele Erfahrungen mit Einschränkungen. Für mich ist dies das normale Leben.» Stets muss sie sich überlegen, ob und wie sie an einen gewünschten Ort gelangen kann und ob sie dazu Hilfe organisieren muss.
Von kleineren oder grösseren Schwierigkeiten sind alle Menschen betroffen. In letzter Zeit scheinen die Probleme aber grösser zu werden. «Momentan gehen wir von Krise zu Krise und für uns Christen wird sich zeigen, wie tragfähig unser Lebensfundament wirklich ist.» Simea freut sich, wenn sie Menschen Mut machen kann. Ihr Leben ist schon Beweis, dass trotz Einschränkungen Freude und Lebensqualität möglich sind.
Die Buchvernissage findet am 18. November, 19:30 Uhr im Montmirail in Thielle-Wavre statt.
Zur Website:
Simea Schwab
Zum Thema:
Trotzdem glücklich: Ins Leid gepflanzt, ins Glück gewachsen
Schulung im Tri-care santé: «Kann ich die Hilfe, die ich gebe, auch selber annehmen?»
Leben mit Ungleichheit: «Eine psychische Behinderung ist schwieriger als eine körperliche»
Datum: 12.10.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet