Richard Smallwood: «Ich fühlte mich wie ein Betrüger»
Es ist ein Fakt, dass viele Menschen innerhalb der Gemeinde unter psychischen Problemen leiden – obwohl oder gerade weil das Thema tabuisiert wird. Und darunter sind auch Gemeindeleiter. «Ich arbeite mit vielen Leitern, die predigen, reisen, evangelisieren – und mit einem Mal zusammenbrechen», berichtet die Psychotherapeutin Dr. Christine Buckingham. «Ihre Gemeinde würde nicht glauben können, dass sie so leiden. Wenn man nur einen Teil des Lebens dieser Person sieht und nicht das gesamte Panorama, kann man überhaupt nicht verstehen, was dieser Mensch durchmacht. […] Wir können ihnen nicht einfach einen Bibeltext zuschieben und sagen: 'Hier, ich hoffe, damit fühlst du dich besser' oder den Menschen allein lassen, weil er nicht so schnell reagiert, wie wir es vielleicht erwarten. Menschen mit Depressionen brauchen jemanden, der mit ihnen durch diese Zeit geht und das Ganze kann gut ein Jahr dauern.»
Ähnlich ging es auch dem bekannten Gospel-Sänger, Songwriter und Produzenten Richard Smallwood aus Washington D.C.. Er hat bereits mit Berühmtheiten wie Aretha Franklin und Quincy Jones zusammengearbeitet, wurde für diverse Grammys nominiert, hat an die 20 Alben produziert und unter anderem das Lied «I love the Lord» verfasst, welches Whitney Houston im Film «The Preacher's Wife» singt. Doch nur wenige würden glauben, dass die Mehrheit seiner Gospel-Lieder in Zeiten des Schmerzes und der Dunkelheit entstanden sind.
Im dunklen Loch
Der Komponist und ordinierte Pastor, der bereits mit 7 Jahren in der Gemeinde seines Stiefvaters Klavier spielte, hatte mit 30 Jahren eine Reihe von tragischen Erlebnissen. So starben enge Freunde von ihm und auch die Erkenntnis, dass sein Stiefvater nicht sein leiblicher Vater war, wie er zuvor überzeugt gewesen war, traf ihn tief und liess ihn in eine schwere Depression fallen, die sich über Jahre hinweg zog. «Ich kam an den Punkt, an dem ich nicht mehr aus dem Bett kam, nicht mehr duschen konnte», berichtet Smallwood im Interview mit CBN. «Der einzige Moment, in dem ich aus dem Haus kam, war, wenn wir irgendwo singen mussten.»
Er fühlte sich wie ein Betrüger, wenn er seine Texte wie «Es gibt Heilung für deine Seele» sang, aber er nichts davon spürte. Menschen in der Gemeinde kamen auf ihn zu und dankten ihm für seine Lieder, die sie so angesprochen hätten – doch ihn selbst sprach nichts mehr an. Aber wie konnte er, ein so talentierter Komponist und Pastor, über seine Depression sprechen? «Es ist so ein Stigma. Und du schämst dich. Die Gemeinde spricht nicht darüber, und auch meine Kultur spricht nicht darüber. Und so wollte ich nicht, dass irgendjemand etwas davon mitbekam.»
Gebet und Ärzte
«Mir wurde immer gesagt: 'Bete darüber' oder aber 'Du bist von dem Geist der Depression besessen und musst ihn loswerden'… Ich glaube an das Gebet, weil ich weiss, dass es wirkt, aber ich glaube auch, dass Gott uns Ärzte gegeben hat, um uns bei hohem Blutdruck helfen oder Zahnärzte, die uns mit Karies helfen. Genauso hat er uns Spezialisten gegeben, die uns bei psychischen Krankheiten helfen können.»
Richard Smallwood tat das einzig Richtige: Er suchte Rat bei einer seiner Pastoren, die ausserdem klinische Psychologin ist. «Nachdem wir uns eine zeitlang getroffen hatten, sagte sie: 'Richard, du bist zu 100 Prozent klinisch depressiv!» Die Gespräche mit der Pastorin halfen ihm zwar, doch sie holten ihn nicht aus dem tiefen Loch. «Ich musste Medikamente nehmen. Das war eine riesige Entscheidung für mich, weil ich echt Angst hatte – ich hatte schon so viele Horror-Geschichten davon gehört. Aber ohne Medikamente wurde es nicht besser…»
Musik aus dem Schmerz
Trotz seiner Depression schrieb Smallwood weiter Lieder. «Ich glaube, dass Kunst, sei es Musik, Zeichnen, Schauspielerei oder auch Comedy – ich denke hierbei an Robin Williams – vielfach aus Schmerz heraus entsteht. Ich schrieb oft aus meinem Schmerz heraus, auch wenn ich mir dessen nicht immer bewusst war. Findest du in der Bibel eine einzige Person, die keinen Fehler gehabt hätte? Jeder hat Fehler und auch ich bin eine Person mit Fehlern, die Gott genutzt hat.»
Und gerade in seinen dunkelsten Zeiten schrieb er die inspiriertesten Lieder. «Als ich das Lied 'Total Praise' schrieb, war meine Mutter krank und mein engster Freund war totkrank und ich kümmerte mich um sie. Und ich dachte einfach nur: 'Gott, wo bist du?' Also setzte ich mich hin und wollte so ein Selbstmitleids-Lied schreiben. Aber Gott zog mich und meine Gedanken immer wieder zu diesem Lobpreis-Lied hin. Und ich dachte: 'Ich will jetzt kein Lobpreis-Lied schreiben, ich will einen Selbstmitleids-Song machen…' In meinen Gedanken hörte ich Gottes Worte: 'Ich sehe deine Schmerzen, ich sehe deine Tränen, aber ich möchte jetzt dein Lob, inmitten deiner Situation! Es ist leicht, mich zu preisen, wenn du auf der Bergspitze stehst, aber dein Glaube wächst, wenn du mich im tiefsten Tal preist!'»
Anderen helfen, darüber zu reden
Heute geht es Richard Smallwood wieder gut – er schreibt dies dem Gebet und den Therapie-Stunden zu. In den vergangenen sieben Jahren musste er keine Medikamente nehmen, doch geht er immer noch von Zeit zu Zeit zu seinem Therapeuten. Neben der Musik hat er nun begonnen, seine Autobiographie zu schreiben, in der er auch detailliert auf seine Depression eingehen möchte. Der Grund: Smallwood möchte anderen helfen, die in einer ähnlichen Situation sind, über ihre Krankheit zu reden. «Wenn sie jemanden sehen, der auf irgendeine Weise 'erfolgreich' über diese Dinge sprechen konnte, die auch sie durchmachen, dann ermutigt sie das vielleicht, ebenfalls zu sagen: 'Nun, wenn er es geschafft hat, dann schaffe ich das auch!'»
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Datum: 27.02.2016
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / CBN