«Freikirchen sind die dritte Kraft»
Das Schönste ist das in dieser Zeit gewachsene Vertrauensverhältnis unter den Verbandsleitern und das offene Gesprächsklima. Ich schätzte das gute Miteinander und den ermutigenden Austausch untereinander. Wir haben uns als Menschen wahrgenommen, die nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern für das gleiche Ziel arbeiten, voneinander lernen und einander befruchten.
Was befriedigt Sie nicht?
Ich bin nur über ein verpasstes Ziel enttäuscht: Während wir die Freikirchen im Tessin als Partner im VFG-Freikirchen Schweiz gewinnen konnten, ist uns dies mit der Westschweiz noch nicht gelungen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir einen nationalen Freikirchenverband brauchen und hoffe, dass dies in naher Zukunft gelingen wird.
Im VFG sind 17 zum Teil sehr unterschiedliche Freikirchenverbände vereint. Ist es gelungen, eine gewisse Einheit zu schaffen?
Dafür wurde schon vor meiner Präsidentschaft eine grosse Vorarbeit geleistet. Dies illustriert die Tatsache, dass die Pfingstkirchen noch in den 1970er-Jahren im Verband nicht willkommen waren. Doch Ende 2002 wurde ich als Leiter der Schweizerischen Pfingstmission zum Präsidenten des VFG gewählt. Es ist gut, dass wir uns innerhalb des Verbandes über theologische Positionen austauschen können. Die Lausanner Verpflichtung ist dazu unser theologische Rahmen, der von allen respektiert wird. Dass wir eine Einheit in vielen gesellschaftsrelevanten und gemeindlichen Fragen finden konnten, beweist die «Erklärung der Freikirchen», die wir 2015 verfasst und für deren gemeinsame Positionen wir erfolgreich gerungen haben.
Die Annäherung an die katholische Kirche wird in Freikirchen unterschiedlich beurteilt. Wo steht der VFG-Vorstand in dieser Frage?
Bei Fragen rund um Lebensrecht, Religionsfreiheit oder Familie sehen wir viel Übereinstimmung mit den Positionen der katholischen Kirche. Mit ihnen stehen wir in diesem Fragen nicht im Mainstream der Gesellschaft. Darum können wir uns darin gegenseitig unterstützen, diese Themen in der Gesellschaft zu positionieren. Trotzdem dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass wir in bedeutenden theologischen Fragen unterschiedliche Positionen haben, wie etwa in der Tauffrage, dem Gemeindeverständnis oder der Heiligenverehrung und dem Marienkult.
Sie sähen die Freikirchen gerne als die dritte Kraft neben Katholiken und Reformierten. Dieses Ziel scheint in weiter Ferne.
Durchaus nicht! Ich habe dieses Ziel am Anfang meiner Präsidentschaft in der Tat proklamiert. Schon damals pflegten wir regelmässige Beziehungen mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK). Diese Treffen wurden dann auf die SEA und das RESEAU ausgeweitet und institutionalisiert. Dann gibt es weitere klare Anzeichen dafür, dass die Freikirchen als dritte Kraft wahrgenommen werden: Dazu zählt die Mitarbeit im «Ein Gebet voraus», die Anfrage von Seiten der AGCK an den VFG zur Mitgliedschaft und die Einladung am Gebetstreffen im Juni 2017 in Fribourg, als es darum ging, als Kirchen gemeinsam um ein verstärktes Wirken des Heiligen Geistes in unserem Land zu beten. Ausserdem zeigen die soziologischen Studien von Professor Jörg Stolz aus Lausanne, dass die Freikirchen eine wesentliche kirchliche Kraft in der Schweiz darstellen.
Wie hat sich die mediale Wahrnehmung der Freikirchen entwickelt? Gibt es Fortschritte?
Persönlich sehe ich noch keine grossen Fortschritte. Faktisch wurde der Sekten-Begriff durch den Freikirchen-Begriff ersetzt. Je nach Medium gibt es nach wie vor undifferenzierte Darstellungen, wenn zum Beispiel die Kritik an den US-Evangelikalen auf die Freikirchen in der Schweiz übertragen wird. Hier hoffe ich noch auf Verbesserungen. Wir müssen noch stärker dazu beitragen, dass die Medien wahrnehmen, was uns ausmacht und was uns wichtig ist.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der SEA entwickelt?
Darin gab es grosse Fortschritte. An der Leiterkonferenz der Freikirchen nimmt heute auch der Generalsekretär der SEA teil. Etwas später hat die SEA den VFG-Vorstand eingeladen, einen Vertreter in seinen Vorstand zu entsenden. Somit sind beide Organisationen in die Entwicklungsprozesse der Partner einbezogen, was zur Entspannung geführt hat. Die SEA erkennt somit auch besser, welches Anliegen sie an den VFG verweisen muss, sofern es sich um eine Verbandsfrage handelt. Und der VFG anerkennt heute, dass die SEA dank grösserer Ressourcen Instrumente wie Arbeitsgruppen unterhalten kann, die zum Beispiel gesellschaftliche Fragen bearbeiten können. Wir erkennen uns als Ergänzung und nicht mehr als Konkurrenz.
Werden sensible Themen wie die Homosexualität, der Dienst der Frau oder die «Ehe für alle» innerhalb des VFG diskutiert?
Solche Themen, die die Ortsgemeinden beschäftigen, müssen unter den Verbandsleitern behandelt werden. Konkret wurde zum Beispiel die Thematik der Homosexualität an der VFG-Tagung zum Thema «Sexualität im Wandel» behandelt. «Ehe für alle» wird uns noch beschäftigen, ebenso die Fragen rund um das Alterskonkubinat. Das Thema «Dienst der Frau in der Gemeinde» hingegen sehe ich als Aufgabe der einzelnen Gemeindeverbände. Es ist sicher hilfreich, wenn wir uns darüber austauschen, aber hier muss jeder Verband für sich entscheiden.
«Homosexualität» war Thema einer Tagung des VFG. Sehen Sie hier einen Weg für die Freikirchen, in der gesellschaftlichen Debatte zu bestehen?
Es ist ja bekannt, dass Freikirchen in dieser Sache nicht so denken wie der gesellschaftliche Mainstream. Aber das muss in einer liberalen Gesellschaft auch möglich sein. Wenn man nicht mehr anders denken darf als ein bestimmter Interessenverband, stimmt etwas in unserer Gesellschaft nicht mehr. Wir meinen, dass wir ein Recht haben, uns aufgrund der Glaubens- und Gewissensfreiheit zu positionieren und erwarten, dass wir deshalb nicht gleich als diskriminierend wahrgenommen und ausgegrenzt werden. Wir werden in unserer freien Gesellschaft doch wohl noch eine biblische Position vertreten dürfen, umso mehr als jeder Mensch die Freiheit hat, diese Positionen anzunehmen oder abzulehnen.
Wie gehen Freikirchen mit Betroffenen um, die sich in eine Gemeinde integrieren möchten?
Das kann ich nicht generell beantworten, die Lösungsansätze sind in den Gemeinden verschieden. Aus meiner beschränkten Beobachtung heraus kann ich sagen, dass Gemeinden klar kommunizieren, dass die homosexuelle Lebensweise in der Bibel keine Unterstützung findet. Wenn sich Homosexuelle integrieren möchten, dann gehen viele Gemeinden davon aus, dass sie sich bezüglich Sexualität in einer ähnlichen Lage befinden wie Unverheiratete und sich ähnliche Spannungen ergeben, wie in der Frage der vorehelichen Sexualität, die seelsorgerlich aufgearbeitet werden müssen.
Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger Peter Schneeberger mit auf den Weg?
Es liegt nicht an mir, ihm Ratschläge zu erteilen. Ich bin überzeugt, dass Gott den Menschen, die er beruft, auch die nötige Zurüstung verleiht, das heisst die nötige Ausrüstung, Autorität und Weisheit. Ich weiss, dass Peter Schneeberger eine grosse Liebe zu den Gemeinden und die nötigen Kompetenzen für diese Leitungsaufgabe hat. Wenn ich dennoch einen Rat geben soll, dann lautet er: «Peter, gib Vollgas!»
Sie werden auch als Präsident der SPM demnächst zurücktreten. Welche Zukunftsperspektiven haben Sie als «Rentner»?
Ich sehe das Rentenalter als eine Phase mit guten und weniger angenehmen Perspektiven. Meine Identität hängt aber nicht von Aufgaben oder Positionen ab, sondern von meiner Beziehung zu Christus. Die SPM hat mich gebeten, noch kleinere Aufgaben im internationalen Bereich weiterzuführen. Und ich arbeite noch an einem Buchprojekt, das ich meinen Kindern widmen möchte: «Ein kulinarisches Vermächtnis». Unter Freunden und Bekannten habe ich dafür schon ziemlich viel Interesse gespürt, aber ich will damit nicht einfach ein weiteres Kochbuch auf den Markt bringen, sondern meine Überzeugungen im Blick auf einen verantwortlichen Umgang mit Ressourcen, Nahrungsmitteln und vernünftigem Genuss ausdrücken.
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Datum: 28.12.2017
Autor: Fritz Imhof
Quelle: idea Spektrum Schweiz