Im Bann der Perfektion
«Als frisch diplomierter Fachmann Betreuung Fachrichtung Kinder arbeitete ich in einer KiTa», beginnt Pascal Rohrbach zu erzählen. Dann wurde erst die eine, bald auch die zweite Gruppenleiterin krank und sie fielen zeitweise aus. Zusammen mit zwei Lernenden führte er die Arbeit weiter. «Das fiel mir nicht schwer. Schon in der Ausbildung habe ich gemerkt, dass es mir liegt, Verantwortung zu übernehmen und Probleme anzupacken.» Dass er an seinen eigenen bald einmal fast zerbrechen würde, davon ahnte Pascal nichts.
In die Schule beim Papa
Pascal wächst mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester in einem Frutiger Spiss (Quartier) auf. Als die Kinder grösser sind, arbeitet die Mutter Teilzeit in einem Altersheim, später beim Rettungsdienst. Der Vater ist Lehrer an der Gesamtschule, Pascal wird die ersten sechs Jahre von ihm unterrichtet. Nicht nur das Schulwissen, auch die christlichen Werte, die ihm sein Vater vermittelt, nimmt Pascal auf und an, lädt Jesus früh in sein Leben ein.
Zum 12. Geburtstag schenkt ihm sein Götti eine Geiss, die Pascal im Stall von einem der vielen Bauern unterbringen darf. «Ich fütterte sie immer, bevor ich zur Schule ging», erzählt Pascal. Er beginnt zu züchten, und die Gitzi landen an Ostern im Backofen seiner Kunden. Mit dem verdienten Geld kauft sich Pascal seinen ersten Fotoapparat. Doch bei aller Liebe für Tiere und schöne Sujets… Pascal ist mehr auf Menschen ausgerichtet.
Menschen fördern
Als Leiter der Jungschar in der Pfingstgemeinde (Pfimi) Frutigen erkennt er das musikalische Potenzial vieler Teenager. Er beginnt, Lieder zu schreiben und lernt Gitarre spielen. Pascal gründet einen Pool für Teenies und eine Band für Jugendliche, die an Anlässen der Gemeinde auftritt. Er fördert die jungen Menschen und ermöglicht ihnen, sich später in der Band der Erwachsenen einzubringen. Zudem gründet er eine Kleingruppe für Jugendliche, die am christlichen Glauben interessiert sind. Pascal spürt: «Hier liegt meine Berufung!» Damals ist er 21 Jahre jung und beginnt ein Theologiestudium, möchte Pastor werden.
Kreisende Gedanken
Dabei zeigt sich, dass Pascal sehr hohe Ansprüche hat. «Ich hatte ein starkes Verantwortungsgefühl und ich war ein Perfektionist», bekennt er. Seine Gedanken beginnen zu kreisen, jedes Detail wird gross und führt dazu, dass er sich nie entscheiden kann. Ständig ist er am Abwägen: «Was passiert, wenn…» Das ewige Gedankenkarussell macht ihn unfrei und löst Angst aus. Er kann Situationen nicht mehr realistisch einschätzen. Immer mehr wird klar, dass Pascal unter einer Zwangsstörung leidet. Sich im Rahmen des Üblichen zu engagieren, reicht nicht mehr. Er will, er muss mehr leisten, um seinen Zwangsgedanken zu genügen. Jeder Tag kostet unendlich viel Kraft.
Heftige Erschütterungen
Schliesslich vertraut er sich einem Leiter an. Dieser kennt solche Zwänge selbst, er begleitet Pascal als Mentor und ermutigt ihn: «Geh den Weg des Vertrauens – egal, was deine Gefühle sagen.» Denn Pascal zweifelt inzwischen auch an seiner Gottesbeziehung. Ob Gott ihn wirklich annimmt? Ob er nach dem Tod bei Jesus weiterleben wird? Seine frühere Gewissheit, von Gott bedingungslos geliebt und angenommen zu sein, wird heftig erschüttert. Abends kann er nicht einschlafen. «Wenn meine Mutter für mich betete, gelang es jeweils», fügt er an und ist ihr heute dankbar dafür. Auch sein Vater begleitet ihn liebevoll und geduldig.
Pascal sucht Hilfe bei Psychologen. Doch es ist schwierig, jemanden zu finden, der seine Grübeleien wirklich versteht. Einfach oder schnell lassen sich krankhaft quälende Gedanken und Angstgefühle nicht abstellen. Es wird ein langer, harter Weg, bis es Pascal einigermassen gelingt, bedrängende Gedanken wahrzunehmen und dann weiterziehen zu lassen.
Rückzug aus Angst
Trotz seiner Not gelingt es ihm, die theologische Ausbildung erfolgreich abzuschliessen und er wird als Jugendpastor der Pfimi Frutigen angestellt. Jetzt fehlt nur noch die Pastorenfrau! Auch in Sachen Partnersuche kommt ihm die Perfektion in die Quere. Pascal nimmt zwar Kontakt auf mit Frauen, «doch bei mehreren habe ich mich schon nach dem ersten, zweiten Date wieder zurückgezogen, weil ich Angst bekam, sie könnte nicht die Richtige sein», gesteht er. Sobald ihn etwas irritiert, nimmt er Abstand, gibt den Frauen keine zweite Chance. Der junge Pastor macht sich Vorwürfe, wird immer depressiver und schliesslich Teilzeit krankgeschrieben. Pascal sucht lange, bis er einen Psychiater findet, von dem er sich verstanden fühlt. Dieser verschreibt ihm nebst der kognitiven Verhaltenstherapie Sertralin (ein Antidepressivum), das Pascal spürbar hilft. Er empfiehlt in diesem Zusammenhang auch das Buch 'Frei werden von Zwangsgedanken' von Hans-Ruedi Ambühl.
Rosarot im Spital
Auch für die Suche nach einer Frau hat er wieder Elan. Pascal meldet sich bei einer christlichen Singleplattform an. 2020 trifft er erstmals seine heutige Frau. Die 26-Jährige ist «feurig mit Jesus unterwegs», wie er selbst. Im gleichen Jahr wird beim 28-Jährigen ein Herzklappenfehler an der Aortenklappe entdeckt. Die junge Frau besucht ihn im Spital und sie lernen einander besser kennen. Im Oktober 2021 heiraten sie. «Gott meint es gut mit mir», sagt Pascal heute überzeugt. «In den letzten fünf Jahren wurde vieles heil in meiner Beziehung zu Jesus. Er schenkte mir eine gefestigte Identität. Ich weiss, wer ich bin und habe keine Angst mehr vor dem Sterben, ich weiss, wohin ich gehe.»
Immer mehr wächst der heute 30-Jährige in seine Aufgabe als Jugendpastor hinein. Er liebt es, junge Menschen für Gottes Liebe zu begeistern und sie auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Die einstigen Hürden seines eigenen sind ihm dabei oft eine Hilfe.
Brauchen Sie Hilfe oder einfach ein offenes Ohr? Dann melden Sie sich bei der anonymen Lebenshilfe von Livenet, per Telefon oder E-Mail. Weitere Adressen für Notsituationen finden Sie hier.
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Datum: 13.05.2023
Autor:
Mirjam Fisch-Köhler
Quelle:
HOPE-Regiozeitungen