Verändert die Corona-Krise unser Leben nachhaltig?
Für den Zukunftsforscher Matthias Horx ist die Corona-Krise eine sogenannte Tiefenkrise: «Eine Tiefenkrise, auch Schichtenkrise, unterscheidet sich von einer 'normalen' Krise dadurch, dass sie alle Ebenen unserer Existenz betrifft. Während die Finanzkrise 2009 eher das Bankensystem und die Finanzströme betraf und die 'Flüchtlingskrise' 2015 eher auf die Politik (...) einwirkte, wirkt eine Tiefenkrise direkt sowohl auf unser individuelles als auch auf unser kollektives Sein. Sie verändert Institutionen, gesellschaftliche Strukturen, Machtverhältnisse, Deutungsmuster. Sie stellt unseren Alltag auf den Kopf und legt darunter verborgene Muster und Spannungen frei. Eine Tiefenkrise verändert auch den Mindset – die Art und Weise, wie Menschen Realität und Gesellschaft konstruieren.»
Wenn Horx recht hat, wird die Corona-Krise nicht einfach vorbeigehen, so dass unser Leben wieder genauso wird wie vorher. Das neue «Normal» wird anders sein als die bisher gewohnte Normalität. Ist der Trend, in den städtischen Zentren zu wohnen, definitiv gebrochen? Ist das Zeitalter der Globalisierung und der Grossveranstaltungen vorbei? Oder leben wir in zwei Jahren wieder wie vor der Krise? Oder begünstigen die ökologischen Auswirkungen unseres Lebensstils, dass sich bald ein neues Virus auf dem Globus verbreitet, wie manche Biologen vermuten? Viren nehmen keine Rücksicht auf uns Menschen.
Individuelle Bedürfnisse bestimmen das Handeln
Ob diese Krise das menschliche Leben nachhaltig verändern wird, hängt vordergründig davon ab, wie lange sie noch dauern wird: Wann steht ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung und beendet den «Ausnahmezustand»? Bis dahin geben die einzelnen Staaten vor, welche Regeln wie lange gelten. Auf der individuellen Ebene bestimmen Persönlichkeitsunterschiede das Handeln des Einzelnen: Ist mir meine persönliche Freiheit wichtiger oder meine Sicherheit? Oder: Auf wie viel persönliche Freiheit bin ich bereit zu verzichten zugunsten von mehr Sicherheit? Davon hängt ab, ob man wieder ausgelassen Feste feiert, wohin man künftig in die Ferien fährt und wie sehr man sein Verhalten digital überwachen lässt.
2020 ist eine Art Übergangsjahr. Wir wissen, wie das Leben vorher ablief, aber wir wissen nicht, was 2021 sein wird. Setzt sich der Egoismus von Einzelnen oder von Staaten zulasten anderer durch oder lernen die Menschen, wie wertvoll Solidarität und gegenseitige Unterstützung sind?
Mehr Demut und Gelassenheit
Die Corona-Krise hat die Menschen aus ihrer Unbeschwertheit herausgerissen. Die Verletzlichkeit und Endlichkeit menschlicher Existenz wurden uns schmerzhaft vor Augen geführt. Lernen die Menschen dadurch mehr persönliche Resilienz oder Widerstandskraft, die ihnen ermöglicht, mit Risiken und Gefahren angemessener umzugehen? Manche sprechen auch von Resilienz im Blick auf die Gesellschaft oder auf Unternehmen.
Die Corona-Krise stellt auch Christen vor Entscheidungen in den Spannungsfeldern persönliche Freiheit versus Sicherheit oder eigenes Wohlergehen versus gelebte Solidarität. Diese Krise ist ein Weckruf, vertraute und oft wenig durchdachte Denk- und Handlungsmuster zu überprüfen. Sie ermöglicht angesichts neu bewusst gewordener Begrenzungen ein tieferes Vertrauensverhältnis zu dem Herrn über Leben und Tod, zu unserem Erlöser und Vollender Jesus Christus. Das macht demütiger und angesichts von Krisen gelassener.
Zum Autor
Dieter Bösser ist Theologe und Psychologe; er leitet den Bereich Beruf bei der VBG.
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin INSIST.
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Datum: 18.10.2020
Autor: Dieter Bösser
Quelle: Magazin INSIST