Israel in einer Doppelkrise
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief wegen des Coronavirus den Notstand aus. Seit Sonntag wurden die meisten Geschäfte (ausser Lebensmittelläden, Tankstellen und Apotheken) geschlossen und am Dienstag eine Ausgangssperre verhängt. Fast Dreiviertel der privat Beschäftigten sind zuhause (entweder im unbezahlten Zwangsurlaub oder entlassen). Ansammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten.
Corona-Ausbreitung trotz früher Massnahmen
Zwar verzeichnet Israel bisher «nur» 705 Erkrankte (Stand 20. März), aber die Ausbreitung schreitet schnell voran, obwohl das Land schon vor Wochen (und damit viel früher als in Europa) drastische Massnahmen wie Grenzschliessungen und Einreiseverbote beschlossen hatte.
Regierung ohne Mehrheit
Ausserdem kämpft das Land mit einer politischen Krise: Auch nach drei Parlamentswahlen innerhalb eines Jahres, konnte kein politisches Lager eine Mehrheit für eine neue Regierung erringen. Deshalb ist Ministerpräsident Netanjahu seit einem Jahr nur noch geschäftsführend im Amt. In der letzten Wahl konnte er seine Position zwar verbessern, aber für eine Mehrheit reichte es dennoch nicht.
Knappe Mehrheit für Benny Gantz
Nun sprach sich das israelische Parlament mit einer denkbar knappen Mehrheit (61 von 120) dafür aus, Benny Gantz, den Führer des blau-weissen Bündnisses damit zu beauftragen, eine Regierung zu bilden. Für ihn stimmten gegensätzliche politische Lager, Ultra-Rechte und Araber. Vermutlich einte sie allein die Ablehnung von Netanjahu, aber nicht der Wille zu einer gemeinsamen Regierung. Es erscheint aber auch nicht völlig ausgeschlossen, dass die beiden grössten Parteien versuchen, eine Regierung zu bilden.
Gantz hat nun 28 Tage Zeit, die Möglichkeiten für eine Regierung unter seiner Führung auszuloten. Der Ex-General und Armeechef will versuchen, eine «nationale, patriotische und möglichst breite» Koalition zusammenzubringen.
Staatspräsident Reuven Rivlin machte deutlich, dass es keine vierte Parlamentswahl geben kann. Aber was, wenn wieder keine Regierung zustandekommt? Sowohl Gantz als auch Rivlin erklärten, dass man sich «am Anfang einer schweren (politischen) Krise» befindet.
Keine Notstandsregierung
Ministerpräsident Netanjahu hatte wegen des Kampfes gegen das Coronavirus vorgeschlagen, für sechs Monate eine breite Notstandsregierung zu bilden. Er lehnte aber die Bedingung von Benny Gantz ab, auch die arabischen Parteien zu beteiligen, weil es sich bei ihnen um «Terrorunterstützer» handele. Gantz hatte sich zwar grundsätzlich zur Bildung einer Notstandsregierung bereit erklärt, warf Netanjahu aber vor, nicht ernsthaft an Verhandlungen interessiert zu sein.
Netanjahu steht vor Gerichtsverfahren
Seit 2007 ist Benjamin Netanjahu Ministerpräsident. Er steht nun vor einem Korruptionsprozess, der vor Kurzem stattfinden sollte und wegen des Coronavirus auf den 24. Mai verschoben wurde. Netanjahu steht wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue unter Anklage. Die Gerichte im Land sind aber wegen der Ausbreitung des Coronavirus angewiesen, sich auf dringende Angelegenheiten zu beschränken.
Datennutzung umstritten
Umstritten ist Netanjahus Vorgehen im Kampf gegen den Coronavirus: Er ermächtigte den Geheimdienst, auf die Handy- und Kreditkarten-Daten von Infizierten zuzugreifen, um herauszufinden, mit wem sie Kontakt hatten.
Völlig unklar ist, wie die Palästinenser im Westjordanland und im Gaza-Streifen mit der Ausbreitung des Coronavirus umgehen sollen, weil sie nur wenige Krankenhäuser haben. Erste Infizierte gab es im Westjordanland, was zur sofortigen Schliessung der Grenzen zu Israel führte. Auf der anderen Seite gab es sogleich auch Ausnahmegenehmigungen, weil Palästinenser in der israelischen Wirtschaft und im Gesundheitswesen dringend gebraucht werden.
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Datum: 21.03.2020
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet