Frei- und Landeskirche auf dem Prüfstand
Gespräch mit Peter Schneeberger, Präsident der Freikirchen Schweiz, seit 2013 Vorsitzender der FEG Schweiz:
Herr Schneeberger, was ist für Sie ein Christ?
Peter Schneeberger: Jemand, der Jesus nachfolgt. Die biblische
Bezeichnung Christ trifft nur auf Menschen zu, die an Jesus Christus
glauben.
Braucht ein Christ ein
Bekehrungserlebnis? Genügt es nicht, dass man als Christ oder Christin geboren
wird?
Bei vielen Christen in Freikirchen steht am Anfang ihrer Nachfolge
von Jesus Christus ein Erweckungs- oder Bekehrungserlebnis. Aus diesem
Erlebnis folgt die Nachfolge. Christsein ist kein Zustand, in den ich
geboren werde. Manchmal geht dem Bekehrungserlebnis ein langer Prozess
voraus, wo der Augenblick der Lebensübergabe an Jesus kein punktuelles
Erlebnis ist. Wichtig scheint mir, dass die Umgebung etwas von meinem
Christsein merkt: Achtung der Menschen, Hilfe für andere, Gerechtigkeit,
mein Einsatz in der Freikirche, und anderes.
Welchen Stellenwert hat die Kindertaufe in der Freikirche? Ist Kinder- und Erwachsenentaufe ein Widerspruch?
Martin Luther hat einmal gesagt: «Wenn der Glaube nicht zur Taufe
kommt, ist die Taufe nichts nütze.» Darum wird in Freikirchen bei der
Taufe nach dem Glauben gefragt. Bei Freikirchen, die Kinder taufen, wird
nach dem Glauben der Eltern gefragt, bei den anderen nach dem Glauben
derjenigen, die sich taufen lassen möchten. Die Taufe ist in vielen
Freikirchen ein starker Moment des Bekenntnisses zum christlichen
Glauben und wird als Fest gefeiert.
Hat die heutige Form der reformierten Volkskirche eine Zukunft oder liegt die Zukunft der Reformierten in den Freikirchen?
Jede Kirche hat eine Zukunft. Der entscheidende Faktor sind nie
Strukturen, sondern mit welcher Hingabe die Mitglieder der Kirche ihre
Kirche beleben und ihr Leben auf Jesus Christus ausrichten. Daher spielt
es keine Rolle, ob die Kirchensteuern oder die jetzigen Strukturen mal
verschwinden. Wenn es den Kirchenleitungen in Landes- oder Freikirchen
gelingt, die Mitglieder zu «Kirchen
beteiligten» zu machen, gibt es eine
rosige Zukunft.
Stichwort offen und tolerant: Können Homosexuelle Mitglieder einer Freikirche sein?
Wir sehen den Menschen als Wesen mit physischen, psychischen und
spirituellen Bedürfnissen. Zusammen sind diese Ausdruck einer
Persönlichkeit, deren Integrität wir achten und schützen. Die Kriterien
für eine Mitgliedschaft oder Mitarbeit leiten wir aus der Bibel ab. Wir
haben es mit mündigen Menschen zu tun, die sich selber prüfen, will ich
die Kriterien der Bibel leben oder nicht.
Wie wichtig ist der Missionsbefehl im Bezug auf andere Religionen? Müssen Christen und Christinnen Andersgläubige missionieren?
Im Grundlagenpapier «Erklärung Freikirchen» schreiben sechzehn Verbandsleiter von Freikirchen: Aufgrund der Aussagen
Jesu laden wir alle Menschen ein, ihn kennenzulernen. Persönlich
gesagt: «Das mache ich von Herzen gerne, anderen Menschen von Jesus
Christus erzählen. Das Leben mit Jesus ist wirklich fantastisch.»
Könnten sich die Freikirchen vorstellen, einmal Teil einer
Landeskirche zu sein? Wie schwer wiegen noch die Verletzungen aus der
Zeit, als man die Täufer verfolgte?
Es gab nicht nur die Verfolgung der Täufer. Bei vielen historischen
Freikirchen wurden die Leiter massiv verfolgt und des Landes
verwiesen. Ich geniesse es, Teil einer Freikirche zu sein.
Gespräch mit Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes:
Herr Locher, was ist für Sie ein Christ?
Gottfried Locher: Der Name ist Programm: Christ ist, wer Christus
folgt. Im Alltag kann Nachfolge dann sehr unterschiedlich aussehen.
Christinnen und Christen versuchen, in ihrem eigenen Leben das
umzusetzen, was sie für sich im Leben von Jesus Christus entdecken. Wie
sie das tun, ist ihr je eigener, manchmal schwieriger Entscheid.
Welche Bedeutung hat die Bibel in Ihrem Leben?
Wie sehr ist die Bibel für
die reformierte Kirche relevant?
Gut wäre, täglich in der
Bibel zu lesen (was ich leider nicht
schaffe...), das gibt
einem eine gesunde Distanz zum eigenen Alltag.
Die Bibel stellt uns in einen grösseren Sinn-Zusammenhang als das
eigene, doch recht zufällige Leben. So gesehen liesse sich sagen:
Bibellesen ist eine ausgezeichnete «Versicherung» gegen
Selbstbezogenheit.
Wie sehr sind heute Taufe, Abendmahl und Abdankungen ein
Service Public der Volkskirchen? Wie weit sind sie Ausdruck des
christlichen Glaubens?
Würden wir den Zusammenhang nicht gescheiter umkehren? Taufe
und Abendmahl sind kein «Service» der Kirche, sondern Ursprung der
Kirche. Kirche gibt es, weil es die Taufe gibt und das Abendmahl. Wir
sind kein Klub von Gleichgesinnten, sondern eine Gemeinschaft von
Getauften. Diese Kirche kann und soll dann natürlich auch öffentlich
dienen – Service Public, eben, Begleitung der Menschen in allerlei
Lebenslagen, zum Beispiel eben auch beim Sterben.
Freikirchen unterscheiden sich von den reformierten
Landeskirchen in Bezug auf das Taufverständnis. Was ist falsch, wenn man
sich als Erwachsener taufen lässt?
Alle Kirchen taufen Erwachsene, auch die Landeskirchen, das ist nicht
das Problem. Der Unterschied liegt anderswo: Nicht alle Kirchen taufen
auch Kinder. Wir sagen: Kinder kann man dann taufen, wenn Eltern da
sind, die sich im christlichen Glauben zu Hause fühlen. Kindertaufe ist
so etwas wie ein kirchlicher Vertrauensvorschuss in die Eltern.
Hat die heutige Form der Volkskirche eine Zukunft? Ist Mitglieder- und Bekenntniskirche ein Widerspruch?
Ob Kirchen eine Zukunft haben, hängt wohl eher an ihrer Substanz als
an ihrer Form. Zukunft hat, wer glaubwürdig das Evangelium von Jesus
Christus verkündigt. Das ist das entscheidende Kriterium: das Evangelium
verkündigen in Wort und Tat. Es gilt für alle, ob Landes- oder
Freikirchen.
Wo wünschen Sie sich eine offene, konstruktive Zusammenarbeit mit den Freikirchen? Wie könnte diese aussehen?
Ich finde, wir haben schon heute eine gute, konstruktive
Zusammenarbeit. Wichtig ist, dass wir ehrlich bleiben, ehrlich bei dem,
was wir miteinander teilen und bei dem, was uns unterscheidet. Nur so
kann Vertrauen wachsen und nur mit dem Vertrauen ein Gefühl von
Verbundenheit.
Warum schliessen sich die reformatorischen Kirchen nicht zu einer zusammen?
Zusammenschlüsse gibt es schon, und auch im Kirchenbund wächst das
Bewusstsein, zusammenzugehören. Aber unser Ziel ist nicht
Einheitlichkeit, sondern Einheit in Vielfalt. Täufer wollen ihre
Identität behalten, wie andere christliche Traditionen auch. Ich glaube
nicht, dass sich das so rasch ändern wird. Die eine Kirche Jesu Christi
lebt in den vielen Kirchen vor Ort.
Datum: 07.01.2019
Autor: Tilmann Zuber / Hans Goldenberger
Quelle: http://www.kirchenbote-online.ch