Landes- und Freikirchen: Das Miteinander bringt's
Evangelische Christen haben «aufgrund ihrer reformatorischen Herkunft ein Bewusstsein der Abgrenzung». Diese These des Landeskirchen-Forums (www.lkf.ch/dok/997) griff Dr. Walter Dürr am 29. August in Chur auf. Der Direktor des Studienzentrums für Glaube und Gesellschaft an der Uni Fribourg verwies auf die gemeinsame Grundlage der Evangelischen in den vier 'soli' der Reformation: Allein Christus, allein die Schrift, allein durch Gnade, allein durch Glauben. Doch die Freikirchen, nicht obrigkeitshörige Sprösslinge der Reformation, wurden lange unterdrückt. Neuerdings behindert die «enorme Zersplitterung» der Evangelischen nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern stellt auch das Reformationsjubiläum in Frage. Walter Dürr: «Werden wir feiern, dass wir uns getrennt haben?»
Fokus auf das Trennende?
Der Bieler Theologe machte deutlich, wie seit der Aufklärung der Grundsatz des Philosophen René Descartes «cogito ergo sum» (Ich denke, also bin ich) Sprengkraft entfaltete: «Wir folgen Descartes in der Konzentration auf das Trennende.» Die Evangelikalen seien davon nicht ausgenommen. Wie liberale Theologen hätten sie die Moderne als Voraussetzung akzeptiert. Im Alltag der Kirchen habe das cartesianische ergo zu Rechthaberei geführt: «Ich verfüge über die Wahrheit – also bist du sicher falsch. Wir sind die wahre Kirche – also könnt ihr es gar nicht sein. Ich habe den Heiligen Geist – also bist du geist- und herzlos.»
Die Postmoderne bietet laut Walter Dürr die Chance, die eigene Erkenntnis und das eigene Kirche-Sein als Stückwerk zu sehen. «Deshalb brauchen wir die Perspektive des Anderen»: die Landeskirche jene der Freikirchen und umgekehrt. Die Moderne habe die Frage gestellt: Wo ist die wahre Kirche? – und jeder habe sie bei sich gesehen. Die Postmoderne stosse eine neue Bescheidenheit an mit der Frage: Wie kann Kirche wahr werden?
Was das Miteinander stärkt
Das Forum Rätia, von Agnes und Edi Wäfler pointiert moderiert, wurde heuer gemeinsam mit dem Landeskirchen-Forum durchgeführt, welches zum Thema «Evangelische Einheit» schon in Bern getagt hatte. In Chur äusserten Teilnehmende Freude über ein vermehrtes Miteinander von Reformierten und Freikirchlern. In Gruppengesprächen kam auf den Tisch, was erstarrt ist und bremst, aber auch, was dem Miteinander in der Evangelischen Allianz förderlich ist: In persönlichen Beziehungen, durch ehrliche Kommunikation, wächst Wertschätzung, (Vor-)Urteile schwinden und Verletzungen können besprochen werden. Gemeinsames Singen und Beten, Berggottesdienste und Kinderanlässe stärken die Einheit.
Aufeinander angewiesen
Dekan Thomas Gottschall und der Churer ICF-Leiter Markus Bächler machten mit kontrastierenden Inputs deutlich, dass die beiden Seiten aufeinander angewiesen sind: Gottschall hob die Präsenz der Landeskirche an den Lebensübergängen und im öffentlichen Leben hervor und beleuchtete den Erfahrungsschatz von Jahrhunderten helvetischer Geschichte, der in ihr aufbewahrt ist. Sie sei offen für Selbstkritik und befragbar. Bächler äusserte, die wohlhabende Schweiz sei unterernährt – mit Liebe. «Die Botschaft der Liebe an die Frau, an den Mann zu bringen, das ist unser Job, ob als Freikirche oder Landeskirche.» Der Leiter des in der Evangelischen Allianz Chur integrierten ICF riet, wegzukommen vom «verklärten Bild der heiligen Gemeinschaft, in der alles funktioniert».
Zur Webseite:
Landeskirchenforum
Datum: 05.09.2014
Autor: Peter Schmid
Quelle: Landeskirchenforum / idea Schweiz