Drei Herausforderungen missionarischer Städtearbeit
Der biblische Befund scheint klar: Gottes Geschichte mit den Menschen beginnt auf dem Land und endet in einer Stadt. Doch dieser Weg vom Paradies ins «neue Jerusalem» ist keineswegs einfach. Der US-Missiologe Ed Stetzer freut sich in einem Artikel bei churchleaders.com darüber, dass «Urban Ministry unter Christen gerade en Vogue» ist. Städte sind hervorragend dazu geeignet, dort das Evangelium zu verbreiten, doch Stetzer identifiziert drei besondere Herausforderungen: Verdorbenheit, Ungeduld und Isolation.
Verdorbenheit ist überall
Heile Welt wird meist mit dem Leben auf dem Land verbunden – allerdings hauptsächlich von denjenigen, die nicht dort wohnen. Denn eines ist klar: Sünde, Gebrochenheit und Verdorbenheit sind überall zu finden. Durch die vielen Menschen werden sie aber in den Städten leichter sichtbar. So hat sich jahrhundertelang eine gewisse Stadtflucht bei Christen etabliert. Viele klassische Freikirchen wie die Freien evangelischen Gemeinden haben ihre Wurzeln auf dem Land und entdecken erst in den letzten Jahren die Städte für sich – andere wie die Heilsarmee sind dort schon lange zu Hause. Warum ist das so? Die einen sahen eher die Verdorbenheit, von der sie sich fernhalten wollten, und die anderen die Chancen fürs Evangelium. Und genau darum geht es: Gott ist in den Innenstädten, sozialen Brennpunkten und multikulturellen Gesellschaften unserer Städte am Werk. Längst gibt es dort lebendige Kirchen und Gemeinden, doch noch ziehen mehr Kreative, Hipster oder Arbeitssuchende in die Städte als Christen, die hier bewusst ihren Glauben leben wollen. Denn das ist unübersichtlicher als auf dem Land: In Berlin mag in der Nachbarstrasse eine Baptistengemeinde sein, und trotzdem ist eine weitere Kirche nötig, weil in den 400 Metern bis dorthin 10'000 Menschen leben.
Liebe besiegt die Ungeduld
Eine weitere Herausforderung ist die nötige Geduld, denn städtische Arbeiten wachsen meistens langsam und brauchen viel Zeit, um sich zu entwickeln. Wer jetzt den Kopf schüttelt und an Willow Creek in Chicago oder ICF in Zürich denkt, der verwechselt Vorstadtgemeinden mit grossem Einzugsbereich mit missionaler oder missionarischer Stadtarbeit. Stetzer unterstreicht: «Zu viele Menschen lieben die Idee der Stadt, aber nicht die Stadt an sich, in die Gott sie schickt.» Und diese Liebe ist gefragt, die mit den Bewohnern der Stadt durch dick und dünn unterwegs ist. Oft wollen Menschen, die Christus in diesem Umfeld begegnet sind, die Armut, Kriminalität und Chancenlosigkeit der Stadt verlassen – und das mag völlig in Ordnung sein –, doch gleichzeitig sind Christen nötig, die in die Stadt hineingehen. Die ihr Herz dort verlieren. Und die dorthin kommen, um zu bleiben.
Gemeinschaft statt Isolation
Ein Problem der Stadt ist, dass es DIE Stadt gar nicht gibt. Sie besteht aus einer Vielzahl einzelner Gemeinschaften, die kaum etwas miteinander zu tun haben: Da wohnen Latinos, türkischstämmige Menschen und eine Strasse weiter ist «Chinatown». Und dazwischen ziehen (in den USA) Menschen in die Städte zurück, die man dort kaum erwartet: Sie sind reich, weiss und kinderlos. Darauf weist der Wirtschaftswissenschaftler Jed Kolko hin. Viele dieser Communitys sind sich fremd, wenn nicht sogar verfeindet. Sie brauchen teilweise eine völlig andere Ansprache, um sie für Gott zu gewinnen. Und wenn sie Christen geworden sind, bleibt es eine Herausforderung, die neuen Bürgerinnen und Bürger von Gottes Reich miteinander in Beziehung zu bringen. Aus seiner eigenen missionarischen Erfahrung weiss Stetzer: «Das Evangelium schafft eine Gemeinschaft, die Klüfte auf dem Weg überbrückt, indem sie Liebe und Brüderlichkeit auch über demografische Grenzen hinweg den Vorrang gibt.»
Liebevolle Strategie ist gefragt
Zum Abschluss seines Artikels betont Stetzer, dass er nicht von diesen Herausforderungen geschrieben hat, weil er an Gottes Möglichkeiten zweifelt, oder vor dem «harten Boden» der Städte warnen will. Im Gegenteil. Er will helfen, die Städte wieder neu in den Blick zu nehmen. Heruntergebrochen auf europäische Verhältnisse gilt dasselbe für Deutschland mit seinen 80 Grossstädten von Berlin bis Gütersloh und für die Schweiz mit ihren fünf Grossstädten Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne. Dem ersten Grossstadtmissionar, Jona, machte Gott sehr deutlich: «Du hast Mitleid mit dem Rizinus, um den du dich doch nicht bemüht und den du nicht grossgezogen hast, der in einer Nacht entstanden und in einer Nacht zugrunde gegangen ist. Und ich sollte kein Mitleid haben mit der grossen Stadt Ninive, in der mehr als 120'000 Menschen sind, die ihre rechte Hand nicht von ihrer linken unterscheiden können, dazu so viel Vieh!» (Jona Kapitel 4, Verse 10–11). Gott liebt Städte.
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Datum: 22.08.2021
Autor: Hauke Burgarth / Ed Stetzer
Quelle: Livenet / churchleaders.com