Mehr Schein als Sein
Was ist eigentlich unter Heuchelei zu verstehen? Es ist ein Verhalten, bei dem eine Person absichtlich nach aussen ein Bild von sich vermittelt, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Es besteht also eine Diskrepanz zwischen dem, was die Person vorgibt, und dem, was sie wirklich lebt und wie sie tatsächlich ist.
Jeder Christ erlebt Widerspruch
Doch bei welchem Christen, der wirklich aufrichtig ist, gibt es diesen Widerspruch nicht? Selbst Paulus, ein Mann, der mit seinem ganzen Leben für seinen Glauben einstand, stellte selbstkritisch fest: «Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.» (Römer, Kapitel 7, Verse 19 und 20)
Ja, tatsächlich sitzen, was das betrifft, alle in einem Boot. Oder wer mag von sich behaupten, dass er jederzeit nach den Regeln Gottes lebt? Alle erleben diese Kluft zwischen dem, wie sie gerne wären, und dem, wie sie wirklich sind und handeln. Doch der entscheidende Punkt ist ein anderer: Bei Heuchelei wird gezielt ein anderes Bild von sich vermittelt, das nicht der Realität entspricht.
Zweierlei Blickrichtung
Warum aber heucheln Menschen? Das ist eine Frage an den Einzelnen, aber auch an christliche Gemeinschaften. Wenn jemand heuchelt, kann das verschiedene Gründe haben:
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Der Wunsch nach Anerkennung und die Furcht davor, dass diese ausbleibt, wenn man ehrlich ist. Es ist die Angst davor, im Abseits zu stehen.
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Ein Weg, um über den Frust der eigenen Fehler und Schwächen hinweg zu kommen.
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Ein Instrument, um in einer christlichen Gemeinschaft Einfluss zu gewinnen, vielleicht auch Leitungsverantwortung.
Doch bei der Frage nach der Ursache für Heuchelei müssen sich auch christliche Gemeinschaften fragen lassen, ob es bei ihnen Raum gibt, ehrlich über Fehler und Scheitern sprechen zu können. Wo ist es möglich, sich offen und ungeschminkt zu äussern und zu zeigen? Oft beschränken sich Gemeinden darauf, von Sünde und Fehlern nur dann zu sprechen, wenn es gilt, die Regeln und Gebote Gottes zu verteidigen oder dazu aufzurufen, diese einzuhalten.
Wichtig wäre daher ein Miteinander von Christen, in dem Fehler und falsches Verhalten (die Bibel nennt es Sünde) eingestanden werden können, ohne dass über den, der es tut, der Stab gebrochen wird. Dazu eignen sich vor allem Kleingruppen. Sehr hilfreich ist es, wenn diese Kleingruppen nur aus jeweils einem Geschlecht bestehen.
Eine Kultur der Ehrlichkeit
Es braucht also eine Kultur des Miteinanders, in der sich keiner als besser ansieht und auch nicht besser sein will als der andere. Denn alle Menschen, auch Christen, sind Sünder. Doch demgegenüber vermitteln Gemeinden oft den Eindruck, dass Christen bessere Menschen sind. Dem ist aber nicht so und es gilt daher folgende Redensart: «Christen sind nicht besser, nur besser dran.» Wo Christen offen und ehrlich miteinander umgehen und sich mit ihren Schwächen wirklich annehmen, hat das auch grosse anziehende Wirkung auf Nichtchristen.
Fröhliche Gemeinschaft von Sündern
Gemeinde ist so verstanden nicht ein Ort von besonders guten, sondern von besonders ehrlichen Menschen, die um ihre Mängel wissen und sich selbst und anderen nichts vormachen. In diesem Sinn könnte eine Gemeinde eine fröhliche Gemeinschaft von Sündern sein. Fröhlich nicht darüber, dass Menschen Fehler machen, sondern froh darüber, dass der Fehler nicht das letzte Wort hat, sondern Jesus, der jedem Menschen, der zu ihm kommt, gerne vergibt, ihn annimmt und zu ihm steht.
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Datum: 02.10.2022
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet