Was die Schöpfung mit persönlichem Glauben verbindet
Gemeinde und «Welt» waren damals klar getrennt in dem traditionellen freikirchlichen Kontext, in dem ich aufwuchs. Die erlebte Liebe zu Jesus war mir wichtig. Wir lebten sie menschlich, aber intern. Die «Welt» war schwerpunktmässig zu meiden. Auch später während meines Theologie-Studiums im freikirchlichen Seminar mit Wohnpflicht im Internat und Missionseinsätzen in vorlesungsfreier Zeit wurde diese Denke nicht wirklich überwunden.
Nach dem Studium begann ich als Pastor in einer Gemeinde am Bodensee. Aber die Arbeit war so herausfordernd, dass ich in sieben Jahren nicht einmal mit einem Boot auf dem Wasser war. Der Heilige Geist war inzwischen ein Freund geworden – und ebenso wurden es die beziehungssehnsüchtigen Teenager der Gemeinde. Beide forderten mich zu einer ehrlichen Natürlichkeit, zu einer ungeschminkten Ganzheitlichkeit heraus.
Erst in der Gemeinde, später auch in den zehn Jahren als Teenager- und dann Jugendreferent der Freien evangelischen Gemeinden, spürte ich einen starken Antrieb, die unselige Schizophrenie zu überleben, in zwei Welten zu leben. Ich wollte gern anders leben und anders denken in einer Welt.
Glaube im ganzen Alltag
Mit der Familie zogen wir 2000 an die Schweiz-Französische Grenze. Dort wollten wir zusammen mit anderen Christen in einem Wein- und Obstbaubetrieb mit Strausswirtschaft – einer Weinstube mit Ausschank eigener Weine – Leben in allen Bereichen teilen. Ganz ähnlich wie in Apostelgeschichte Kapitel 2, wo beschrieben ist, wie die ersten Christen in Jerusalem zusammenlebten: Sie beteten gemeinsam, waren in enger Gemeinschaft füreinander da und jeden Tag kamen neue Leute dazu.
Meine Frau Biggi ging in Vollzeit arbeiten, ich stieg ehrenamtlich in die Leitung ein. Wir wollten einen Ort schaffen, wo Menschen Jesus und das Reich Gottes einfach im Alltäglichen wahrnehmen können. Unsere evangelikal-christliche Sozialisation und unsere Gewohnheiten wurden in dieser Arbeit ständig hinterfragt. Funktionieren in üblichen Aufgaben gab es nicht. Masken und Unechtes wurden manchmal schmerzhaft, aber befreiend entlarvt.
Unser Leben wurde auf den Kern geistlichen Lebens und Engagements fokussiert: Gott lieben – Menschen lieben. Wir wollten für die Menschen eine «Gemeinde ohne Grenzen» sein, Glaube im ganzen Alltag.
Jesus von Anfang an
Im ökologischen Sinne wurde unser Leben erst ganzheitlicher, als Gott uns dort «aus dem Nest in die Welt warf» – so haben wir es in der Zeit immer wieder mal formuliert, erst unüberlegt, dann aber immer bedeutungsvoller. Grund war, dass ich die Leitungsaufgabe verlor, wir unser Projekt loslassen mussten. In dieser Zeit zog ich mich für eine paar Tage in eine sehr inspirierende Gemeinschaft zurück, an einen Studienort von L‘Abri im niederländischen Eck en Wiel.
Dort – und danach durch viele Impulse aus der reformierten Bewegung – geschah Entscheidendes: Ich nahm mehr und mehr das gesamte biblische Weltbild in den Blick. Damit meine ich das Gesamtbild von Schöpfung, Fall, Kreuz und Auferstehung, Wiederherstellung und dem Wiederkommen von Jesus. Ich erlebe es als wertvollen Beitrag der Reformierten Theologie (zum Beispiel durch den mittlerweile verstorbenen New Yorker Pastor Tim Keller), dieses grosse Bild zum Orientierungsrahmen für biblische Theologie in den Fokus gerückt zu haben.
Die Welt als Geliebte
Ein Akzent daraus: der «Jesus von Anfang an». Jesus (und mit ihm das Evangelium) fängt ja nicht erst mit Weihnachten, nicht mit Kreuz und Auferstehung an. Jesus ist von Anfang an einer von dem WIR der Schöpfung, wie in 1. Mose Kapitel 1, Vers 26 erwähnt: «Dann sprach Gott: ‚Nun wollen wir Menschen machen, ein Abbild von uns, das uns ähnlich ist!‘» Im Kolosserbrief lesen wir, dass er «vor aller Schöpfung» war. Die gute Nachricht von Jesus Christus hat seinen Ausgangspunkt in der guten Nachricht, dass Jesus aus Liebe die gesamte Welt gestaltet. «In ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf der Erde ist … alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor allem und es besteht alles in ihm» (Kolosser Kapitel 1, Verse 16-17). «Gott hat durch ihn [seinen Sohn] die Welten erschaffen» (Hebräer Kapitel 1, Vers 2).
Die Welt ist demnach nicht nur das Böse, das überwunden werden muss. Die Welt ist auch die Geliebte, für die als Ganze sich Jesus hingab (Johannes Kapitel 3, Vers 16). Ökologie, die Haushalterschaft über die Schöpfung, ist nicht nur ein Add-on zur Jesus-Nachfolge, zu Evangelisation und Gemeindearbeit, sondern essenzielle, grundlegende und lebensnotwendige Anerkennung von Jesus und dem dreieinen Gott. Für die, die wie ich in einer persönlichen Jesusbeziehung leben, ist die Bewahrung und kreative Gestaltung der Schöpfung nicht eine beliebige Option, sondern Anerkennung von Jesus als Gott und Herrn über alles. In ihm sind wirklich «alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis» (Kolosserbrief Kapitel 2, Vers 3). Wir können keinen einzigen Bereich dieser Welt – sei es Natur, Physik, Biologie, Psychologie, Wirtschaftslehre, Kunst oder alles andere – von der Jesuserkenntnis, der Gemeinschaft mit Gott, von Gottesdienst und Nachfolge trennen. Nichts existiert, von dem Jesus nicht sagt «Meins» – oder wie der niederländische reformierte Theologe und Ministerpräsident Abraham Kuypers formulierte: «Es gibt keinen Quadratzentimeter der gesamten Schöpfung, von dem Jesus Christus nicht sagt: ‚Das gehört mir!‘»
Den Dualismus, die Trennung von Natur und Geist und die Abwertung der natürlichen, materiellen Dinge, lehrt uns nicht die Bibel. Sie ist eine Prägung vor allem durch griechische Philosophie. Viele im freikirchlichen Kontext sind nicht nur mit einem empfundenen «richtigen Verständnis der Bibel» aufgewachsen, sondern auch mit dieser dualistischen Brille. Ich musste eingestehen, dass ich ein sehr grundlegendes Denkmuster falsch gelernt und immer in die Bibel hineingelesen habe. Ich habe diese Brille bewusst abgesetzt und bin heute immer noch dabei, dieses Denkmuster auszumerzen. Ich nehme wieder und wieder erstaunt wahr, wie genial ganzheitlich das biblische Denken ist, wie allumfassend Spiritualität und Evangelium sind. Der Blick weitet sich dahin, dass die gute Nachricht von Jesus Christus alles gute Geschaffene betrifft, auch unser Gestalten, Forschen und Entwickeln in allen Bereichen des Lebens. Dieser Denkwechsel klingt einfach, ist aber ein langer Prozess. Er rührt an tiefeingeprägte Muster. Aber die einschneidende Mühe, grundsätzlich anders zu sehen und zu denken und entsprechend zu handeln, lohnt sich, finde ich.
Ein Bekenntnis
Mir ist wichtig, mich mit meiner Tradition mitverantwortlich zu bekennen, dass wir Jesus-Nachfolger bislang weniger zur Lösung ökologischer Herausforderungen beigetragen haben, sondern eher durch die Abwertung von Natürlichem und Materiellem ein wesentlicher Teil des Problems waren und sind. Obwohl wir Natürliches und Ergebnisse von Entwicklung in unserem prallen mittelständischen Alltag grenzenvergessen geniessen.
Ich bekenne mich mit dazu, dass diese Distanzierung von der natürlichen Welt auch die unverzichtbare Grundlage des Evangeliums von unseren Mitmenschen entfernt hat. Weil wir das gemeinsame Gute, das von Gott Gegebene, vernachlässigt, vergessen oder sogar abgewertet haben. Passend zu dieser Denke wurde in den Gemeinden nicht gesehen, dass Berufstätige schon in ihrem Alltag eine wirkungsvolle Jesusnachfolge leben, die ein wesentlicher Teil des Gemeindelebens ist. Stattdessen wurden sie in Gemeindefunktionen geschoben und oftmals überfordert.
Ich nehme heute wahr, dass unser Auftrag nicht nur ist, Gott und Menschen zu lieben, sondern auch, diese Welt zu lieben – diese nach göttlichem Design und göttlichen Ordnungen geschaffene Welt. Die Liebe zu allem Geschaffenen ist zum Ausdruck meiner Jesusliebe geworden, der Liebe zu Christus, dem «Christus von Anfang an».
Die Konsequenzen und vielen Fragen, die sich daraus ergeben, eröffnen einen weiten Raum, in dem Reich Gottes sich hier und jetzt schon ereignet und Menschen Jesus als Herrn kennenlernen. Klar ist, dass wir Jesus-Nachfolger die heile Welt nicht schaffen. Aber Jesus setzt mit uns Zeichen der Erneuerung in allen Bereichen des Lebens. Dies miteinander zu erleben, nährt die Hoffnung auf eine endgültig neue Welt, wenn Jesus wiederkommt.
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