Vergeben – ein unmöglicher Klimmzug?
Es ist eine Tatsache: Scheitern, Zerbrechen, Schuld und auch Bosheit gehören zu unserem Leben und unserer Welt. Der christliche Glaube ist kein Idealismus. Eine seiner zentralen Antworten auf das Problem des Bösen ist die Vergebung.
«Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind», lehrt Jesus seine Nachfolger beten und macht damit deutlich, dass «Vergebung bekommen» und «Vergebung erteilen» in einem unlösbaren Zusammenhang stehen. Vergebung ist nichts Leichtes und wird es nie sein. Hier drei Grundgedanken, die Ihnen helfen können, Vergebung zu erleben und auch weiterzugeben.
1.Vergebung scheint unfair – gerade darum ist sie so wichtig
Seien wir ehrlich: Vergeben geht gegen unser Gerechtigkeitsgefühl. Wir haben einen tief angelegten Reflex in uns, dass Schuld bezahlt werden muss. Das Konto muss ausgeglichen werden. Übertretung verlangt Busse. Wer sich an mir verfehlt, bleibt mir etwas schuldig. Auf diesem Grundsatz ist unser Rechtsempfinden aufgebaut. Aber einfach so vergeben? Wo kämen wir hin? Und dann noch «siebzigmal siebenmal», also unbegrenzt (wie es Jesus im Matthäusevangelium, Kapitel 18, Vers 22 als Massstab setzt). Man soll also gar nicht erst anfangen, zu zählen und Buch zu führen. Ist das zumutbar?
Am Beispiel Vergebung sehen wir, dass Gottes Lösung für das Dilemma unserer Welt nicht einfach ein Stück Moral ist. Davon gibt es genug – und sie hat nicht geholfen. Vergebung ist ein Ausstieg aus der Spirale des Bösen. Der Beschluss, Schuld nicht anzurechnen, ist eine emotionale Zumutung, aber ohne das geht es nicht.
Der zweite Gedanke kann allerdings helfen, Vergebung in einem anderen Licht zu sehen. Zu vergeben bedeutet, nicht ein willkürliches «die Augen vor dem Bösen verschliessen».
2.Vergebung ist keine Willkür, sie hat einen Grund
Vergebung ist nicht «einfach so». Vergebung geschieht nicht einmal nur, weil Gott uns halt so gern hat. Das Evangelium sagt nicht nur «Gott hat dich lieb und darum vergibt er», wie viele Menschen denken, oder wie Voltaire es ausdrückte: «Dieu pardonne, c'est son metier». Wenn unsere Vergebung auf einem Gefühl Gottes beruhen würde, wäre das für viele ein wackliger Grund. Gott könnte ja seine Meinung mal ändern, oder? Wie, wenn man sich wie ein böser Bube oder ein böses Mädchen so verhält, dass er einen irgendwann nicht mehr gern hat?
Vergebung ist möglich, weil für Schuld bezahlt wurde. Das «verhebt» juristisch. Gottes Liebe trieb ihn zur Aktion: Jesus ist nach der Aussage der Bibel «das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt» (Johannes-Evangelium, Kapitel 1, Vers 29). Schon im Alten Testament wird vorausgesagt, dass Gott «unser aller Schuld auf ihn – Jesus Christus – legen wird» (Jesajabuch, Kapitel 53, Verse 4-6). Und als Jesus am Kreuz sein Leben aushaucht, ruft er mit letzter Kraft aus: «Es ist vollbracht!» Der Ausdruck, den er hier braucht, bedeutet: «Es ist bezahlt, erledigt.» Für Sünde ist gebüsst, Schuld wurde bezahlt. Darum steht Vergebung auf festen Füssen – sie ist Gottes Antwort auf die Misere der Menschheit.
3.Vergebung ist nicht Endstation, sondern Startpunkt
So wichtig es ist, doch dieses «meine Sünden sind vergeben» ist nicht das Ziel der christlichen Botschaft, sondern eher der Anfang. Das Evangelium ist ungleich mehr als nur «Sündenmanagement». Es gibt eine ungesunde christliche Dauerbeschäftigung mit Sünde und Schuld, die erstens nie so richtig froh werden lässt und vor allem verhindert, dass Menschen in eine gesunde Nachfolge Christi eintreten und Teilhaber an der Umgestaltung der Schöpfung werden. Vergebung ist eine grossartige Erfahrung, die freisetzt.
Das letzte Ziel ist nicht Vergebung, sondern was Gott mit Ihrem Leben vorhat. Vergebung ist wichtig und macht den Rücken frei – jetzt kann etwas Neues losgehen. Jesus starb nicht nur für unsere kleinen und grossen persönlichen Sünden, sondern sein Tod – und seine Auferstehung – sind Startschüsse für Gottes Erneuerung der Welt.
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Datum: 29.02.2024
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Jesus.ch