Leben teilen mit regionaler Internationalität
Eine Kommunität ist meist an einen Ort gebunden. Bei Chemin Neuf wohnen weitaus nicht alle in Gemeinschaftshäusern. Chemin Neuf ist in 33 Ländern mit circa 2'400 Personen präsent, wo sie Leben teilen und ein Herz für den Nächsten haben.
Durch geistlichen Aufbruch in die Gemeinschaft
In der Schweiz leben sie hauptsächlich an zwei Orten: Betreut wird das Studentenwohnheim in Fribourg und das Gästehaus Kloster Bethanien in St.Niklausen. Es gehören auch zwei Ehepaare in Wetzikon und Thalwil zur Kommunität Chemin Neuf. Das wären schweizweit 15 Mitglieder sowie der «Bund Chemin Neuf» mit einem erweiterten Freundeskreis von gleicher Spiritualität, wozu rund 25 bis 30 Personen zählen.
Im Jahr 2000 erweiterte die internationale Lebensform ihren Auftrag für Gebet, Schulung und Evangelisation mit dem «Net for God» (Livenet berichtete).
Anny Lang (57) leitet die Gemeinschaft Chemin Neuf in der Schweiz und das Gästehaus Kloster Bethanien in St Niklausen. Livenet tauschte mit ihr persönlich aus.
Wie hat Ihre persönliche Beziehung mit der Kommunität gestartet?
Anny Lang: Zu Beginn unserer Ehe wohnten wir im Elsass. Wir wurden von einer Freundin 1988 zu einer «KANA-Woche» bei Lyon eingeladen. Die KANA-Woche richtet sich an Ehepaare und Familien und wird von der Gemeinschaft Chemin Neuf veranstaltet. Es waren damals 1'200 Menschen versammelt, um Gott zu loben, selbst, wenn man nicht an Gott glaubt, es ging darum, sich Zeit als Ehepaar zu nehmen. Wir hatten Zeiten zu zweit, wurden durch Vorträge und Zeugnisse gestärkt, konnten mit anderen Paaren austauschen und es gab wunderbare Begegnungen, die zu lebenslänglichen Freundschaften führten. Die Einfachheit der Begegnungen und doch sehr tiefe Gespräche, die Freude, die herrschte, der Friede machten aus dieser Woche ein sehr bereicherndes Erlebnis. Anschliessend gab es die Möglichkeit, an kleinen monatlichen Austauschgruppen teilzunehmen. Wir waren so begeistert, dass wir uns sofort anmeldeten. Es war ein Engagement auf ein Jahr bis maximal drei Jahre. Uns hat fasziniert, dass so unterschiedliche Menschen miteinander auf dem Weg sind.
Was war der Hauptgrund, dass Sie sich dafür entschieden?
Dieser KANA-Weg hat uns geholfen, unseren Glauben, unsere persönliche Beziehung zu Gott zu vertiefen. In einem Gottesdienst hat Gott zu uns gesprochen. Wir spürten, jeder für sich, dass Gott uns in die Gemeinschaft Chemin Neuf ruft. Wir hatten in unserem Herzen eine grosse Liebe zu Jesus und den tiefen Wunsch, den Namen Jesus zu verkündigen, uns in den Dienst der Kirche und der Welt zu stellen. Ich spürte eine so grosse innere Freude, wie ich sie noch nie kannte. Ich hatte zwar schon Kenntnis von verschiedenen Kommunitäten. Aber der Gedanke bei mir war immer eher,«nichts für mich». Doch in meinem Herzen gab es etwas Neues, eine Sehnsucht, mit anderen meinen Glauben zu leben.
Wir hatten in der Zeit die Gelegenheit, zum ersten Mal nach Peru zu reisen. Es war das erste Mal, dass wir in Berührung mit ärmeren Ländern kamen. Die Begegnung mit Menschen, die viel weniger als wir hatten, hat unser Herz tief berührt. Wir waren zwei Monaten dort, länger als vorgesehen. Wir mussten feststellen, dass wir die ganze Zeit glücklich waren, trotz geringem Komfort. Vor allem hat uns eine Einladung von einer Familie mit elf Kindern in einem Slum zutiefst berührt. Um uns Franzosen zu empfangen, haben sie ihre einzige Ente geschlachtet. Sie haben von ihrem Wesentlichen gegeben, um mit uns Fremden zu feiern. Das hat uns umgeworfen! Wir wollen Jesus nachfolgen, aber manchmal gibt es so viele Dinge, die einen zurückhalten. Diese Erfahrung in Peru war wie ein Anstoss von Gott, den Schritt zu wagen und einen Weg einzuschlagen, der nicht auf uns selbst konzentriert ist, sondern uns lehrt, den Nächsten zu lieben.
Was ist das Faszinierende im Gemeinschafts-Alltag?
Die Vielfalt, die Verschiedenheit: Als Ehepaare, zölibatäre Frauen und Männer, Priester und Pastoren.
Die internationale Dimension: Wir sind immer mit Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen zusammen. Ich bin mit Menschen zusammen, mit denen ich sicher sonst nie in Berührung gekommen wäre. Es ist eine grosse Bereicherung. Es ist faszinierend, aber auch herausfordernd. Man reibt sich aneinander und kommt an die eigenen Grenzen. Aber wir machen die Erfahrung der Versöhnung. Ich lerne den anderen besser verstehen, und letztlich besser lieben.
Die Ökumene: Als katholische, reformierte, freikirchliche, pfingstliche, orthodoxe und anglikanische Christen teilen wir unseren Alltag. Wir tragen unsere Missionen zusammen, um gemeinsam die Liebe des Vaters für alle seine Kinder zu bezeugen. Wir bieten verschiedene ökumenische Schulungen an und wir möchten starke Verbindungen mit den Kirchen um uns herum aufbauen. Jesu Gebet ist: «Vater, mach sie eins, damit die Welt glaubt.»
Wie sehen heute Ihre persönlichen Berührungspunkte und Programme aus?
Im gleichen Stadtviertel oder unter dem gleichen Dach lebend, erfahren wir täglich, dass das Teilen multipliziert. Wir haben einen wöchentlichen Lobpreisabend und einen Abend für den Austausch in Kleingruppen. Gemeinsam oder einzeln, jeder mit seinem eigenen Charisma, wollen wir «allen Menschen alles sein» und uns in den Dienst der Menschen stellen: in den uns anvertrauten Pfarreien oder im Berufsleben, in unseren Ausbildungsstätten, Studentenwohnheimen oder Jüngerschaftsschulen oder bei Strassenkindern. Als Gemeinschaft treffen wir uns für ein Wochenende und eine jährliche Gemeinschaftswoche, um miteinander zu beten, miteinander auf den Heiligen Geist zu hören und das geschwisterliche Leben zu stärken.
Wie erleben Sie das Schweizerische, beziehungsweise Internationale bei Chemin Neuf?
Die Schweiz ist von ihrer Geschichte her international, sie ist ein Land mit vier offiziellen Sprachen. Sie kennt die Bereicherung der verschiedenen Kulturen, aber auch die Grenzen davon. Wir sind eine internationale Gemeinschaft, und gleichzeitig ist es wichtig, uns dem Lokalen anzupassen und uns zu integrieren. Dazu braucht es Geduld, Vorurteile abbauen, Hoffnung und Liebe! Hier in der Schweiz ist uns 2012 ein Studentenwohnheim von der Schweizer Bischofskonferenz in Fribourg anvertraut worden und vor elf Jahren haben wir eine Allianz mit den Dominikanerinnen von Bethanien geschlossen, und betreuen seitdem das Gästehaus Kloster Bethanien in Obwalden.
Es gibt dazu sehr konkrete Beispiele, welche die Sprache, die Gewohnheiten, die Kultur, das Essen betreffen, wie:
- Sprache:
Ich war froh, als Französin deutsch sprechen zu können, als ich in der Schweiz ankam. Doch merkte ich, dass das «Schwizerdütsch» fast wie noch eine andere Sprache ist. Es gibt regionale Dialekte und ist deshalb auch schwieriger zu lernen. Zum Glück sind die Schweizer sehr lieb und schlagen immer vor, Schriftdeutsch zu sprechen. - Die Uhrzeit der Mahlzeiten: Wenn ich als Franzose mein ganzes Leben lang um 20:00 Uhr gegessen habe, nun in der Schweiz immer um 18:00 Uhr esse, ist dies schon etwas gewohnheitsbedürftig.
- Wenn ein Bruder oder eine Schwester der Gemeinschaft aus Polen kommt, wo die meisten Katholiken sind und sie dann Ökumene in der Schweiz erleben, fühlen sie sich etwas deplatziert!
- Entscheidungen treffen: In Frankreich werden die Entscheidungen zentralisiert getroffen, in der Schweiz dagegen durch Volksabstimmungen. Das ist schon tief unterschiedlich und durchdringt auch die Kommunität. Das macht den Alltag aber auch sehr spannend!
Welche Dienste vor Ort sind besonders nach aussen gerichtet?
Die Gemeinschaft Chemin Neuf ist eine apostolische Gemeinschaft mit missionarischer Dynamik. Das Gästehaus Bethanien steht allen offen, so wie auch das Studentenwohneim. Aber auch das Projekt «Niklaus & Dorothee Alive» im Bereich Kunst, dessen Eröffnung für Herbst 2024 geplant ist. Die Ausstellung, die das Leben von Niklaus von Flüe und seiner Frau Dorothee Wyss erzählt, ist vollkommen nach aussen orientiert. Auf internationaler Ebene gibt es viel Unterschiedliches: Familienarbeit, Weiterbildungen, in Krankenhäusern, in Altersheimen, wir bieten mehrere Einkehrtage an und vieles mehr.
Weitere Informationen zur Gemeinschaft Chemin Neuf finden Sie hier.
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Datum: 22.06.2023
Autor:
Roland Streit
Quelle:
Livenet