Philip Yancey und das Geschenk, das er nie wollte
Leid macht die meisten Menschen sprachlos. Im Angesicht von Schmerz, Leid und Krankheit fehlen ihnen die Worte. Natürlich gibt es diejenigen, die dann trotzdem etwas sagen, einfach, um etwas gesagt zu haben. Aber hilfreich ist das selten. Und es gibt diejenigen, die sich kluge Gedanken über Zusammenhänge machen und sie auch noch in Worte fassen können, die mitfühlen, die antworten, wo sie antworten können, und ansonsten schweigen. Solch ein Mensch ist Philip Yancey (74). Der Journalist und ehemalige Herausgeber des Magazins «Christianity Today» schrieb um die 20 Bücher, meistens rund ums Thema Leiden, die sich weltweit 14 Millionen Mal verkauften. Das liegt wohl auch daran, dass er das Thema Leid immer persönlich nahm, auch bevor er die Diagnose erhielt, dass er an Parkinson erkrankt sei.
Familiengeschichte
Es begann damit, dass Yanceys Vater an Kinderlähmung starb, als er noch ein Kleinkind war. Er hatte längere Zeit in einer Eisernen Lunge verbracht und Mitälteste seiner Kirchengemeinde «hatten den Eindruck», dass Gott ihn heilen wollte. So verzichtete der Vater auf die Unterstützung der Maschine – und starb. Erlebnisse wie dieses und eine sehr gesetzliche Gemeinde liessen Yancey früh an Gott zweifeln und eigene Wege gehen. Das Lesen und später das Schreiben wurde sowohl zu seinem Ausweg aus christlicher Enge als auch aus seinem Unglauben. Er betonte stets: «Ich schreibe Bücher für mich selbst. Ich schreibe, um Probleme zu lösen, die mich beschäftigen und auf die ich keine Antworten habe.»
Eine weitere familiäre Katastrophe betraf Yanceys älteren Bruder Marshall. Dieser war hochintelligent, ein brillanter Musiker und hatte ein absolutes Gehör. 2009 änderte sich das auf einen Schlag: Marshall erlitt einen Schlaganfall und fiel ins Koma. Mit einer komplizierten Hirnoperation konnte sein Leben gerettet werden, doch seitdem ist er schwerstbehindert. In einem Artikel in Christianity Today erzählt Yancey, wie der Bruder sich wieder ins Leben zurückkämpfte, wieder Laufen lernte und mit seiner Aphasie umging.
Es dauerte lange, bis er Sätze formulieren konnte, die mehr als ein paar Wörter enthielten. Während ihn Erwachsene als Behinderten oft ignorierten, fragten Kinder immer wieder: «Was hat der Mann?» Irgendwann wurde ihm alles zu viel und er beschloss, seinem Leben ein Ende zu setzen. Der Versuch misslang – «Gott sei Dank!» unterstreicht Yancey –, und dank therapeutischer Unterstützung gestaltet er sein Leben inzwischen wieder und kommt grossteils allein zurecht.
Ein Kämpfer
Auch Philip Yancey blieb nicht vor Problemen verschont, doch bislang konnte er sie alle irgendwie überwinden. 2007 hatte er zum Beispiel einen schweren Autounfall, bei dem er sich die Wirbelsäule brach. Er erholte sich wieder. Sobald er wieder gesund war, setzte der passionierte Bergsteiger seine unterbrochene Herausforderung fort, alle 54 Berge in Colorado zu besteigen, die höher als 14'000 Fuss sind (also 4'300 Meter). Drei Gipfel fehlten ihm noch, die er schnell nachholte.
Vor einem Jahr war Yancey beim Skifahren, als er etwas Seltsames erlebte. «Ich gab meinen Beinen die klare Anweisung, bergab zu fahren, und sie gehorchten nicht. Stattdessen prallte ich gegen einen Baum.» Seine Ausrüstung zerbrach und er erlitt starke Prellungen. In der Folge kam es immer wieder zu ähnlichen Ausfällen und Freunde erlebten ihn als stark verlangsamt, deshalb suchte er seinen Hausarzt auf, der ihm versicherte: «Sie sind in ausgezeichneter Verfassung, Philip, Sie können nicht an Parkinson erkrankt sein.» Der Neurologe dieses Jahr war anderer Meinung. Er erklärte Yancey, dass er wie befürchtet an Parkinson erkrankt sei.
Von der Diagnose zur Annahme
Schon vor der Diagnose war vieles anders für den agilen Mann. Er brauchte plötzlich Ewigkeiten, um sich sein Hemd anzuziehen. Doch die Feststellung der Krankheit fiel Yancey sehr schwer: Auch wenn die Auswirkungen noch nicht sehr stark waren, war die Erkrankung unheilbar. Die Verbindungen zwischen Gehirn und Muskeln würden immer weiter abbauen. Zunächst war er vorsichtig damit, andere zu informieren. «Ich befürchtete, dass ich nun ein neues Etikett bekommen würde: Ich wäre nicht nur Philip, sondern Philip mit Parkinson.» Überall versuchte er zu zeigen, dass er noch ganz der Alte sei – bis er bei einem Ballspiel stürzte und sich verletzte, weil seine Reflexe zu spät einsetzten. Nun war es klar: Er war behindert.
Er würde nie mehr Mountainbike fahren oder 14'000er besteigen. Yancey schrieb: «In einer komprimierten Vorschau auf das Altern bedeutet Behinderung, dass wir uns von alltäglichen Dingen verabschieden müssen, die wir für selbstverständlich halten. Ich sollte nicht einmal Treppen steigen, ohne ein Geländer zu benutzen, und Gehen ist die sicherste Form der Bewegung für mich, solange ich meine Füsse hochhebe und nicht schlurfe. So wie ich früher mein Tempo drosseln musste, wenn ich mit meinem Bruder spazieren ging, müssen jetzt andere ihr Tempo für mich drosseln.»
Yancey sieht sich als privilegiert an für all das, was er in seinem Leben erreichen konnte: Er interviewte Sportgrössen und Präsidenten, war weltweit als Redner unterwegs und konnte zahlreiche Menschen für den Glauben gewinnen. Doch jetzt weiss er, dass es zwar viele gibt, denen es schlechter geht als ihm, aber dass er trotzdem «behindert» ist und bleiben wird.
Und Gott?
Nach der Diagnose las Yancey manche Bibelstelle plötzlich mit anderen Augen. Ein Freund erinnerte ihn an Psalm 71, in dem der Psalmbeter erst bittet: «Verstosse mich nicht, jetzt, wo ich alt geworden bin; verlass mich nicht, wenn meine Kräfte nun schwinden!» (Vers 9) und später festhält: «Von Jugend auf bist du mein Lehrer gewesen, und bis heute erzähle ich von deinen Wundertaten.» (Vers 17) Genau das tut Yancey. Er lernt, mit seinen Einschränkungen zu leben. Er übt sich in Dankbarkeit. Er geht offensiv mit seiner Erkrankung um – deshalb schrieb er einen ausführlichen Artikel darüber.
Antworten auf die Fragen nach dem Warum hat er kaum, doch trotzdem hält er fest: «Meine Zukunft ist voller Fragezeichen, aber ich bin nicht übermässig ängstlich. Ich werde ausgezeichnet medizinisch versorgt und durch Freunde unterstützt. Ich vertraue auf einen guten und liebevollen Gott, der mir diese Eigenschaften immer wieder durch seine Nachfolger auf der Erde zeigt. Ich habe viel über das Leiden geschrieben – nun bin ich dazu aufgerufen, dies in die Praxis umzusetzen. Möge ich ein treuer Verwalter meines letzten Kapitels sein.»
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Datum: 27.02.2023
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet / Christianity Today