Aufwind für den Sterbetourismus in der Schweiz?
Der deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am Freitag (6. November) die Neuregelung der Sterbehilfe beschlossen. «Geschäftsmässige Sterbehilfe» in Deutschland ist damit künftig verboten. Christliche Vertreter und Lebensrechtler halten das beschlossene Gesetz aber nicht für ausreichend, um Schwerstkranke am Lebensende zu schützen.
Verbot der gewerbsmässigen Sterbehilfe
Der Entwurf der Abgeordneten Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) erhielt in der dritten Lesung 360 Stimmen. 233 Abgeordnete stimmten dagegen, neun enthielten sich. Damit wird in Deutschland eine auf Gewinn und Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe – wie sie etwa durch manche Vereine geschieht – strafbar sein. Eine Assistenz bei der Selbsttötung durch Angehörige oder Ärzte bleibt erlaubt, wenn sie nicht auf Wiederholung zielt, also auf den Einzelfall beschränkt bleibt. Die vier Gesetzentwürfe reichten von einem kompletten Verbot jeglicher Beihilfe zur Selbsttötung bis hin zur Erlaubnis der organisierten Beihilfe für Ärzte und Sterbehilfevereine.
Landeskirchen und Freikirchen begrüssen Entscheid
Mit dem Beschluss habe der Bundestag «ein starkes Zeichen für den Lebensschutz und damit für die Zukunft unserer Gesellschaft und ihren Zusammenhalt gesetzt», erklärten gemeinsam der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück. Es sei eine Entscheidung für das Leben und für ein Sterben in Würde. Das neue Gesetz schütze schwerkranke und ältere Menschen vor einem zunehmenden sozialen Druck, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden.
Der Präsident der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF), Ansgar Hörsting, lobte ebenfalls den Beschluss: «Das Parlament hat sich für den aus meiner Sicht besten Entwurf ausgesprochen. Das Leben hat eine unantastbare Würde und auch Unverfügbarkeit. Eine Übertretung dieser Grenze darf niemals normalisiert werden. Deswegen ist es richtig, geschäftsmässige Sterbehilfe zu verbieten.» Gleichzeitig halte er es für richtig, dass niemand in Einzelfällen eine gesetzliche Strafe fürchten müsse. Hörsting: «Als Christ bin ich dagegen, dass sich jemand das Leben nimmt und dass andere Menschen ihn dabei unterstützen. Aber ich will gleichzeitig auch nicht, dass jemand, der dies tut, strafrechtlich verfolgt wird», so Hörsting, im Hauptamt Präses des Bundes Freier Evangelischer Gemeinden.
Exit und Dignitas: enttäuscht und kämpferisch
Die Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit bedauert den Entscheid in Deutschland. Zwar sei man nicht direkt betroffen, weil Exit nur Patientinnen und Patienten in der Schweiz helfe. Derzeit sei aber unklar, welche Hilfe Exit Mitgliedern noch geben dürfe, die zwar Schweizer Staatsbürger seien, aber in Deutschland lebten. Kritiker der aktiven Sterbehilfe in der Schweiz befürchten, dass nach dem Bundestagsentscheide die Zahl der Deutschen, die für einen begleiteten Suizid in die Schweiz fahren werden, weiter steigen wird. Das sei absehbar, bestätigt auch Exit-Geschäftsführer Bernhard Sutter gegenüber idea.
Organisationen wie Dignitas und Lifecircle haben bisher auch Personen mit Wohnsitz in Deutschland in den Tod begleitet. Rund 900 Deutsche waren es bei Dignitas in den vergangenen fünfzehn Jahren. Dignitas kritisiert den deutschen Entscheid vehement und pocht auf internationales Recht. Die Beihilfe zum Suizid mit strafrechtlichen Mitteln zu regeln, verstosse sowohl gegen das Grundgesetz als auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Dignitas ruft deshalb den deutschen Bundespräsidenten auf, dem Gesetz seine Zustimmung zu verweigern. Sollte er es dennoch unterzeichnen, werde man die «undemokratische Entscheidung» beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anfechten.
Sterbehilfegesetz auch für die Schweiz gefordert
Maja Ingold, EVP-Nationalrätin aus Winterthur, fordert ein Sterbehilfegesetz. Es könne nicht sein, dass Dignitas in Deutschland Werbung fürs Sterben in der Schweiz mache. Gemäss Tagesanzeiger verlangt Ingold, dass der Begriff «gewerbsmässig» im Sinn von selbstsüchtigen Beweggründen auch in der Schweiz klar definiert wird und jegliches Geschäft damit ausschliesst. Die EVP prüfe Vorstösse in Zürich und in Bern. In Deutschland sei der Begriff mit dem neuen Gesetz eng und klar definiert, im Gegensatz zur Schweiz. Ingold will nicht eine Lösung wie in Deutschland, aber ein klare gesetzliche Regelung.
Zum Thema: Datum: 10.11.2015
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Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet / idea / pro Medienmagazin