«Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein!»
Zwei Verbrecher haben sie mit Jesus zusammen ans Kreuz gehängt. Drei Männer, die ihr letztes Gespräch führen. Der erste sucht Halt im Zynismus: «Rette dich doch und uns auch, wenn du der Messias bist!» Eigentlich spricht er nur mit sich selbst. Er meint damit: «Siehst du, ich hab' es doch gesagt: Es gibt keinen Gott und keine Gerechtigkeit. Wenn ich schon sterben muss, dann aber wenigstens mit dem Gefühl: 'Ich weiss, wie es läuft.'» Er setzt auf sein Ego. Selbstbestätigung gegen Verzweiflung. Klingt, als würde er heute leben. «I did it my way – ich bin mir treu geblieben bis zur letzten Sekunde.» Sehr modern gedacht. Und gar nicht schlecht, wenn man das sagen kann. Es trägt – für den Moment.
Der andere hat kein Bild von sich, das er noch hochhalten müsste. Alle Masken sind längst gefallen. Was er getan hat, hat ihn hierhergebracht. Er wusste, was ihm blüht. Eine falsche Entscheidung nur, aber das ist nicht mehr wichtig. Sein letzter Satz gilt nicht sich selbst. Es ist eine letzte Bitte: «Denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.» Im letzten Augenblick alles auf eine Karte gesetzt. Ob es trägt – für die Ewigkeit?
Und der dritte Mensch, Jesus? Auch für ihn eines der letzten Worte. Er nutzt sie für ein Versprechen an den Bittenden: «Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.» Das war's. Es ist alles gesagt in dieser Welt.
Ernüchterung zwischen Europaletten
Ich stehe nicht kurz vor der Ewigkeit. Ich stehe im «Getränkeparadies». Der Name wäre gern Programm, aber für ein «Paradies» reicht es nicht. Die Auswahl ist tatsächlich riesig – und so soll es ja im Paradies sein: der Ort, an dem es alles in Fülle gibt, von dem wir hier zu wenig haben. Aber zum Glück brauchen wir ja eigentlich nicht die 15. Sorte Mineralwasser. Es fehlt an etwas, das mindestens so existentiell ist wie Wasser. Liebe zum Beispiel. Und Zeit. Sieht man auch hier: Die kahle Halle mit Blechwänden und hohen Decken ist alles, aber nicht liebevoll. Und Zeit hat hier auch niemand. Die, die einräumen, nicht. Und die, die vor mir an der Kasse stehen, auch nicht. Ich auch nicht. Ein Blick auf die Uhr: Eigentlich müsste ich schon woanders sein. Der Alltag ist eng getaktet. Zwischen drin kleine Momente der Sehnsucht nach erfüllterem Leben. Nach mehr Nähe, mehr Schönheit, mehr Freude. Je trostloser die Umgebung, desto grösser der Wunsch nach Ewigkeit. Wenigstens ein bisschen. Das muss doch möglich sein!
In Gedanken suche ich die Umgebung nach schöneren Orten ab. Ein paar Kilometer hinter der Neonreklame des Getränkemarktes gibt es Orte, die dem Paradies etwas mehr ähneln. Viel Grün, ein Stück Natur eben. Immerhin «Paradies» – das soll ja ein Garten sein mit zwei Flüssen darin. Naturnahe Oasen findet man selbst im Ruhrgebiet, wo wir leben. Aber schaffe ich es noch dahin? Eher nicht. Meine Zeit läuft ab, und das nicht nur im Alltag. Die Tage der letzten Paradiese der Erde sind gezählt, und meine auch. Mein letzter Atemzug mag in der statistischen Lebensmitte gefühlt weit weg sein. Aber er kommt näher. Was bringt mich auf meinem Weg weiter? Jedenfalls nicht Orte wie dieser. Nicht jeder Platz, der sich für ein Paradies hält, ist auch eines. Bloss schnell bezahlen und dann raus hier.
Auf dem Weg ins Paradies
Die Getränkekisten sind im Auto. Der Weg nach Hause ist einfach, es geht es immer geradeaus. Der Motor brummt zufrieden, aber ich bin es gar nicht. Das Paradies geht mir nicht aus dem Kopf. Vor allem der Weg dahin. Denn der ist schwierig und geht nicht immer geradeaus. Die Selbstbestätigung scheint nicht der Weg zu sein. Ich bin ein Fan von «DIY» – «Do it yourself». Selbermachen. Aber «I did it my way» heisst ja oft genug: Es ist zwar meins, aber ich bin auch der Einzige, der es perfekt findet. Die anderen schweigen lieber höflich, wenn es aussieht wie gewollt, nicht gekonnt.
Die Alternative lautet: «Denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.» Das ist das Gegenteil von Selbermachen. Das ist machen lassen. Und er hat nicht einmal gesagt, wie Jesus an ihn denken soll. Den Wunsch hat er gar nicht. Nach dem Weg gefragt hat er auch nicht. Sie hatten ja keine Zeit für lange Wegbeschreibungen. Ein letzter Atemzug ...
Jesus macht eine Zeitansage. Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein. Noch heute? Ich stelle den Motor ab. Den Zündschlüssel habe ich schon in der Hand, aber ich steige noch nicht aus. Bin ich wirklich so nah am Paradies?
Kann Spuren von Ewigkeit enthalten
Ich öffne die Erdnusstüte. Die gab es umsonst am Ausgang vom «Getränkeparadies». Werbegeschenk. Schmecken besser als gedacht. Die Verpackung ist auch so ein Paradies Klischee. Grüne Blätter und Sandstrände. Und hinten drauf dieser alberne Hinweis: «Diese Packung kann Spuren von Nüssen enthalten.» Da will offenbar jemand, dass es auch der Letzte noch versteht. Selbst wenn er nicht mitdenkt. Natürlich sind da Nüsse drin. Und hoffentlich mehr als nur Spuren. Aber manchmal muss man mit der Nase darauf gestossen werden, was eigentlich klar ist. In meinem Fall: Was wäre, wenn das Leben auch Spuren enthalten würde von der Ewigkeit? Dann könnte man jetzt schon etwas davon schmecken. Das müsste ein Moment sein, an dem die Zeit stehenbleibt und Liebe und Frieden im Überfluss da sind. Habe ich so was schon einmal erlebt?
Mit einer Getränkekiste in der Hand muss ich zügig gehen. Genauso zügig fliegen in Gedanken meine «Ewigkeitsmomente» an mir vorbei: Wie ich das erste Mal allein mit meinem neugeborenen Sohn war – er war so federleicht und zerbrechlich. Und ich wusste: Das ist ein Geschenk Gottes. Wie der BMW auf der Autobahn an mir vorbeirast, sich dreht und mein Fahrzeug nur um ein Haar verfehlt. Da war ich mir sofort sicher: Gott hat mich bewahrt. Natürlich gibt es Ewigkeit mitten in der Zeit. Hatte ich im Alltag nur vergessen. Muss man eben manchmal dran erinnert werden. Wofür eine Erdnusstüte gut sein kann, unglaublich!
Ich schliesse die Haustür hinter mir. Alles erledigt. Der Ausflug ins Getränkeparadies ist zu Ende. Hat eine halbe Stunde gedauert, bis ich wieder zu Hause gewesen bin. Die Reise ins Paradies läuft noch. Dauert vielleicht noch ein halbes Leben, bis ich wieder ... tja, wo eigentlich ... bin? «Zuhause» würde da auch passen. Die Spuren auf dem Weg deuten jedenfalls darauf hin. Also immer die Augen offenhalten. Und schon mal üben: «Denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.» Geht einem jedes Mal etwas leichter über die Lippen. Aber er passt jeden Tag. Denn es ist ein Satz für die Ewigkeit – auch wenn es nicht der letzte Atemzug ist.
Zum Autor:
Matthias Kleiböhmer ist Theologe und arbeitet als Communitypastor bei der Stiftung Creative Kirche.
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