Mehr als fromme Deko

Kirche braucht Kunst!

Die farbigen Fenster sind ein kunstvolles Merkmal eines klassischen Kirchengebäude.
Kunst ist nicht die schöne, aber eigentlich unnötige Ergänzung des Gemeindelebens. Es ist vielmehr Kommunikation von Herz zu Herz – und sie gewinnt Menschen.

«Was müssen wir bei der Kunstausstellung in unserer Gemeinde beachten?» – «Schön müssen die Bilder sein.» – «Sie sollten farblich zum Rest des Foyers passen.» – «Genau. Und um zu unterstreichen, dass sie eine christliche Botschaft haben, könnte man sie in Kreuzform anordnen.» Dieses Gespräch ist nicht satirisch überzeichnet, sondern all diese Argumente sind beim Planen einer «Kunst»-Ausstellung in Gemeinderäumen tatsächlich gefallen. Das Ergebnis war – wohlwollend formuliert – durchaus verbesserungsfähig. Kunst sollte hier nicht auffallen, nicht stören und alle Anwesenden zufriedenstellen.

Das sind zwar gute Kriterien für die Farbauswahl der neuen Tapete im Foyer, aber eben nicht für Kunst. Der verstorbene US-Pastor Tim Keller unterstrich einmal: «Die Kirche braucht Künstler, denn ohne Kunst können wir die Welt nicht erreichen.» Eine ziemlich starke Behauptung! Und dann kommt sie auch noch von einem konservativen Pastor und nicht von einer hippen Künstlerin. Gerade deshalb kann sie solchen Gemeinden helfen, für die Kunst bisher eher die Sahne obenauf ist, aber nicht die Torte. Was ist das Besondere an Kunst und wie hilft sie dabei, Menschen zu erreichen?

Menschen gestalten, weil Gott gestaltet

In Zeiten knapper Finanzen gehört Kunst oft zu dem Ersten, was gestrichen wird – das ist in und auch nach der Corona-Pandemie sehr deutlich geworden. Es ignoriert allerdings, dass wir Menschen nicht nur «homo sapiens» sind, sondern auch «homo creator», also nicht nur vernünftig, sondern schöpferisch, so wie Gott selbst. Da ist es kein Wunder, dass bereits der erste überlieferte Satz, den ein Mensch gesagt hat, ein Gedicht ist – jedenfalls im hebräischen Grundtext von 1. Mose, Kapitel 2, Vers 23.

Wenn für Menschen an sich Kunst im weitesten Sinne einfach dazugehört, dann gilt das natürlich auch für die Menschen, die sich in Kirchen und Gemeinden versammeln, um Gott anzubeten. Tatsächlich ist dies kein freiwilliges Add-on für Christen, sondern Gott besteht immer wieder auf künstlerische Formen. Dazu passt es, dass das künstlerischste Buch der Bibel, die Psalmen, mit einer fulminanten Aufforderung schliesst, in den Instrumentenschrank zu greifen und alles hervorzuholen, was da ist, um Gott zu sagen: «Hallelujah! Lobt Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in der Ausdehnung seiner Macht!» und zwar mit Hörnern, Harfen, Flöten, Zimbeln und anderem. «Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!» (Psalm, Kapitel 150) Kunst ist ein natürliches Mittel, um Gott das Lob auszusprechen, das wir ihm geben wollen. Ohne Kunst ist es praktisch unmöglich, ihn zu loben. Ohne Kunst können wir Gott nicht geniessen.

Mehr als Insider-Programm

Sicher ist Musik der Bereich der Kunst, der am leichtesten in den Gottesdienst und das Gemeindeleben integriert werden kann. Hier fällt die Beteiligung auch von vielen nicht schwer. Gleichzeitig ist die Gefahr gegeben, dass hier Kunstformen für Insider geprägt werden – das beginnt bei einem in der Regel sehr einseitigen Musikgeschmack (aktueller Lobpreis hat keinen Platz für Rock, House oder Electro) und betrifft auch eine Sprache, die mit der Lebenswirklichkeit anderer Menschen nicht mehr viel zu tun hat. Soll Kunst ein Wohlfühlklima für diejenigen erzeugen, die bereits «drinnen» sind? Sie kann das, aber sie kann noch viel mehr. Kunst kommuniziert auf vielen Ebenen und spricht unterschiedlichste Menschen an. Die Herausforderung für Christen ist es nun, diese breite Perspektive für Kunst zu entwickeln.

Kunst sieht und zeigt die grössere Wirklichkeit

Weil Kunst vieles in Worte und Bilder fassen kann, was sich sonst nur schwer beschreiben lässt, ist sie für viele ein probates Mittel zur Evangelisation (siehe die Bilder in Kreuzform, die Menschen ansprechen sollen). Doch in der Regel funktioniert das so nicht. Es gibt keine «christliche Kunst», aber es gibt gläubige Menschen, die Kunst herstellen. Und selbst andere beschäftigen sich in ihrer Kunst mit den grossen Fragen des Lebens und der eigenen Identität und bieten so die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen. So gibt es zahlreiche christliche Kunstinitiativen – einige sind evangelistisch gedacht und sollen Menschen direkt mit christlichen Inhalten ansprechen, andere sind dialogisch ausgerichtet und suchen das Gespräch über gemeinsame Themen. Insgesamt unterstreichen jedoch all diese Bemühungen den Satz von Tim Keller: «Die Kirche braucht Künstler, denn ohne Kunst können wir die Welt nicht erreichen.»

Spannenderweise überbrückt Kunst oft vorgefasste Meinungen und Prägungen, schafft Beziehungen und rührt Herzen an. Keller nennt als ein typisches Beispiel die Musik von Johann Sebastian Bach: «Es gibt eine Art Schizophrenie, die auftritt, wenn man Bach hört und die Herrlichkeit Gottes vernimmt, obwohl einem der Verstand sagt, dass es eigentlich keinen Gott und keinen tieferen Sinn gibt.» Wer diese grossartige Musik hört, kann nicht glauben, dass das Leben sinnlos ist. Plötzlich weiss das Herz, was der Verstand noch leugnet. Nicht umsonst wird Bach auch als der «fünfte Evangelist» bezeichnet, doch ähnliches gilt auch für berührende Texte, faszinierende Bilder und vieles mehr.

Jonny Mellor aus Birmingham arbeitet im christlichen Künstlernetzwerk «Sputnik». Er unterstreicht: «Kunst hält uns menschlich. Sie lässt uns Fragen stellen. Sie verhindert, dass wir in Stammesdenken und roboterhaften Pragmatismus abdriften. Sie erkennt die Komplexität des Lebens, Gottes und der Kirche an und weigert sich, die lebendige Welt, die Gott geschaffen hat, zu verflachen. Sie erinnert uns an das Leben in Fülle, das Jesus uns versprochen hat, ein Leben der Liebe und Grosszügigkeit… Sie lässt uns menschlich bleiben und ermöglicht es uns, uns mit anderen Menschen als Ebenbilder unseres künstlerischen Gottes zu verbinden und mit ihnen in Resonanz zu treten. Dabei können wir sie dazu bringen, Ruhe in ihm zu finden.»

Zum Thema:
Tamara Boppart im Livenet-Talk: Kunst hält Momente der Schönheit und Hoffnung fest
Jasmin Graber: «Das Atelier ist mein Kraftraum»
Instagrammer in Brasilien: Kids kreieren Kunstwerke der Hoffnung

Datum: 01.07.2024
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung