Eine Bananen-Geschichte – und eine Frage an uns
Die Banane gehört – wie kaum eine andere Frucht – zum Repertoire unserer Beschimpfungen. So ist es kein Kompliment, wenn jemand als eine totale Banane bezeichnet wird. Oder wenn eine Politikerin oder ein Politiker das Wort Bananenrepublik benützt, dann ist kaum eine attraktive Urlaubsdestination in der Ferne gemeint. Über die Banane wird gelegentlich auch gewitzelt: «Warum ist deine Banane krumm?», fragt die kecke Achtjährige ihren Schulkameraden, der gerade herzhaft in die Frucht beisst. «Damit sie in die Schale passt», erwidert sie gleich selbst und grinst.
Wenn Pfarrfrauen die richtige Frage stellen
Nicht selten leiten einfache Warum-Fragen Veränderungen ein. So hat auch diese eine Frage das Schicksal der «Bananenfrauen» rund um Ursula Brunner bestimmt. Sie war durch den Film «Bananera Libertad» von Peter von Gunten ausgelöst worden. Das in den frühen 1970er-Jahren noch eher unbekannte Bananengeschäft wurde von Pfarrfrauen in ihren regelmässigen Frauentreffen in Frauenfeld diskutiert. Es blieb aber nicht nur beim Reden. Die Frauen schritten zur Tat: Sie schrieben auf unorthodoxe Weise den Migros-Genossenschafts-Bund an. Dieser konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass Frauen eine derartige Frage stellten.
Die Geschichte der «Bananenfrauen» ist spannend. Sie gleicht einem Abenteuer, das sie nicht selbst gewählt haben. Der Detailhandelsriese Migros liess sich damals zwar auf ein Gespräch ein, war jedoch nicht gewillt, den Bananenproduzenten einen höheren Ankaufspreis zu bezahlen. Daraufhin suchten die Frauen das Gespräch mit den Konsumentinnen und Konsumenten auf der Strasse. Sie machten so in vielen Schweizer Städten auf die erdrückende Situation bei der Produktion von Bananen aufmerksam. Diese Aktionen lösten ein breites Echo aus und brachte viele Menschen zum Nachdenken.
Hören und dem Ruf nachgehen – alles Weitere ist Zugabe
Was diese Frauen damals nicht wussten: Sie legten mit ihren Aktionen einen Grundstein für das Anliegen «Faire Produkte». Die Erklärung von Bern (heute Public Eye) war fast zeitgleich die treibende Kraft bei der Kaffee-Aktion Ujamaa – sie sprach sich für einen limitierten fairen Kaffee aus –, sowie bei der Jute-statt-Plastik-Aktion Mitte der 1970er-Jahre. Hier wurde ein Jutebeutel mit der Aufschrift «Jute statt Plastic» lanciert. Die Aktion wurde zum Symbol der Sensibilisierung für einen sorgfältigeren Konsumstil. Ende der 1970er-Jahre gründeten dann mehrere Schweizer NGOs eine Importgesellschaft namens OS3, heute Claro Fair Trade, um Fair Trade-Produkte in der Schweiz zu verkaufen. In den 1990er-Jahren wurden schliesslich verschiedene Fair Trade-Labels eingeführt: das Bekannteste unter ihnen war 1992 das Label «Max Havelaar». Es zeichnet heute eine grosse Anzahl von Produkten im Detailhandel aus, die unter fairen Bedingungen produziert worden sind – unter anderen auch die Banane.
Als die Fair Trade-Bewegung in den 1980er-Jahren von einer breiteren Zivilbevölkerung aufgenommen wurde – allen voran von NGOs –, war der Interpretationsrahmen stets der Kalte Krieg. So argumentiert etwa der Kulturanthropologe Konrad Kuhn, dass der starke Gegenwind gegen den Verkauf von Fair-Trade-Produkten zu Teilen in der Strukturveränderung lag, welche die Bewegung beabsichtigte. In Zeiten des Kalten Krieges wurden Strukturveränderungen sofort politisch interpretiert, völlig unabhängig vom eigentlichen Problemfeld. Dieser hochpolitische Deutungsrahmen legte sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Nun wurde nicht mehr jedes Wort politisch gedeutet. Ab 1991 gewannen vordergründig dann Aspekte der Wirtschaft ein höheres Gewicht.
Der Weg der «Bananenfrauen» war ähnlich mit dem, wie die Jungfrau zu ihrem Kinde kam: Der Ruf ihrer Zeit hatte diese Frauen und diese hatten ihre Berufung gefunden. Sie betrieben keine Parteipolitik, was jedoch nicht heisst, dass sie nicht politisch waren. Die fair produzierte Banane wurde 1992 von Max Havelaar übernommen. Die «Bananenfrauen» hatten aber schon zwei Jahrzehnte vorher entscheidende Impulse für den fairen Handel gegeben.
Die Warum-Frage bleibt auch heute aktuell
Heute die «Bananenfrauen» nachahmen zu wollen, würde heissen, in der Vergangenheit zu schwelgen. Der Konsum von Fair Trade-Produkten ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Rückblickend ist das Engagement der «Bananenfrauen» zweifellos beeindruckend.
Trotz und gerade wegen ihres Engagements sollten wir uns auch heute fragen, welche Probleme denn heute vorhanden sind. Wie heissen heute die brennenden Themen rund um den Konsum – und darüber hinaus? Und vor allem: Haben wir gegenwärtig überhaupt noch Orte, an denen wir diese Warum-Fragen stellen können? Oder stehen vor allem die Konzepte, durch die wir Menschen für unsere Ideen und Programme erreichen möchten, im Vordergrund?
Inspiriert von den «Bananenfrauen» möchte ich an dieser Stelle eine der heutigen Warum-Fragen aufwerfen, in der Hoffnung, dass andere in diese Frage einsteigen und die Frage weiterdenken. Meine Frage lautet: Warum sind eigentlich Kirchgemeinden und Organisationen, ja selbst unsere persönliche Karriere so stark auf Wachstum und Wirksamkeit ausgerichtet? Eine Ausrichtung nach Wachstumsindikatoren ist ja direkt oder indirekt immer mit Produzieren und Konsumieren verbunden, auch dann, wenn das äussere Erscheinungsbild unserer Aktionen trendig als «authentisch» bezeichnet wird. Warum spielen wir eigentlich dieses unauthentische Spiel in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft, inklusive Kirchen und Organisationen, mit?
Zum Beispiel Hamburg
Ein Beispiel soll Anregungen geben, wie heute Menschen statt Konsum und Programme im Vordergrund stehen können, ohne Strukturen und Planung zu diskreditieren.
Am Hamburger Bahnhof kommen auf engem Raum täglich 550‘000 Reisende an. Konflikte sind keine Seltenheit. Beispielsweise haben während der Flüchtlingskrise 2016 viele Geflüchtete u.a. vor den Einkaufsgeschäften ihre wenigen Habseligkeiten ausgebreitet, um zu schlafen, was wiederum das Einkaufen für Passanten verunmöglichte und so die Umsatzzahlen der Läden tangierte. Wie geht die Bahnhofsmission damit um?
Bei einem Besuch beim Leiter der Bahnhofsmission Hamburg, Axel Mangad, werden keine Mission Statements oder Alleinstellungsmerkmale der 140-jährigen Organisation zitiert. Man könnte beinahe den Eindruck gewinnen, da gebe es keine genauen Ziele, die verfolgt werden, was sicherlich den einen oder anderen Geschäftsführer beunruhigen würde.
Wenn Axel Mangad erzählt, dann fällt auf, dass die Menschen im Vordergrund stehen. Er erzählt, dass die Bahnhofsmission flexibel sein will, um auf schnelle Veränderungen wie zum Beispiel eine Flüchtlingskrise reagieren zu können.
Das sind keine eingeübten Floskeln, das neu eingeweihte Gebäude bestätigt seine Erklärungen: Mitten im Raum steht eine Empfangstheke, damit die Mitarbeitenden sofort bei den Hilfesuchenden sind. Mit einer Falttür könnte der kleine Raum zum Beispiel sofort in ein kleines Café umgewandelt werden, falls nötig. Der Sanitätsraum nebenan, der mit ausgebildeten Pflegefachkräften besetzt ist, dient Menschen mit medizinischen Beschwerden, die etwa aus Scham über gewohnte Wege keinen Arzt aufsuchen würden. Ebenso können Menschen ihr mobiles Telefon zum Aufladen abgeben. Klingt banal, aber welcher fremden Person würde man heute das Telefon mit persönlichen Daten geben? Das geht nur, wenn ein hohes Grundvertrauen vorhanden ist. Das neugebaute Gebäude ist natürlich sorgfältig geplant worden. Aber das Konzept ist so ausgearbeitet worden, damit nicht der Konsum, sondern Menschen mit ihrer Not im Vordergrund stehen.
Wie wäre es, wenn wir lernen würden, zuallererst an die Menschen zu denken und erst dann an Strukturen und Zahlen? Der Inhalt kann dann völlig unterschiedlich sein, wie bei den «Bananenfrauen» vor 50 Jahren oder aktuell in der Bahnhofsmission in Hamburg. Der entscheidende Punkt liegt darin, die Fragen richtig zu stellen.
Dieser Artikel erschien beim Forum Integriertes Christsein.
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Datum: 05.06.2024
Autor:
Lukas Gerber
Quelle:
Forum Integriertes Christsein