«Ich habe Glück, mich verabschieden zu dürfen»
Rosalba Rudolf stammt aus Peru. Mit 15 Jahren heiratet sie, bringt einen Monat vor ihrem 16. Geburtstag ihr erstes Kind zur Welt. «Meine Mutter, eine gläubige Katholikin, akzeptierte nur eine zivile Trauung. Sie prophezeite uns keine lange Zukunft. Ich war froh, dass ich meine Tochter behalten durfte», erzählt Rosalba. Der Segen Gottes kümmert sie damals nicht. «Irgendwie habe ich schon an Gott geglaubt, die Geschichten der Bibel jedoch als passé angesehen, ohne jegliche Bedeutung für mein Leben.»
Zweifache Mutter ohne Mann
Als Rosalba 18 Jahre alt ist und gerade ihre zweite Tochter geboren hat, zerbricht die Ehe. Ihre Ausbildung zur Buchhalterin zieht sich über acht Jahre hin, «weil die Lehrpersonen oft und über lange Zeit streikten». Um ihren Töchtern eine private Uni zu finanzieren, reist Rosalba 1990 ohne Deutschkenntnisse in die Schweiz. Eine Kollegin, die in einem Schweizer Altersheim arbeitet, hat ihr von Land und Möglichkeiten vorgeschwärmt. Zwei Jahre will sie bleiben…
Bedeutsame Begegnungen
Kaum in der Schweiz, kollidiert Rosalba mit einem Töfffahrer, liegt mit zertrümmertem Knie drei Wochen lang im Spital. Es folgen etliche Begegnungen und Erlebnisse; alle bringen sie einen Schritt weiter – auch hin zu Gott. Rosalba denkt an die 90-jährige Zimmergenossin, die Abend für Abend an ihr Bett trat und leise ein Trostlied sang. Sie erinnert sich an die Peruanerin, die ihr nach dem Spitalaufenthalt einige Tage Obdach bot. Nicht zu vergessen die Frau, die Rosalba ihre Bibel schenkte, samt Telefonnummer…
Himmlische Liebe
Als Rosalba wieder einmal alles Geld für teure Telefonate mit ihren Töchtern ausgegeben hat und ihre Unterkunft nicht mehr bezahlen kann, ruft sie mit den letzten Münzen die Nummer in der Bibel an. Niemand nimmt ab. Verzweifelt schlägt Rosalba das Buch auf, landet bei Vers 18 im vierten Kapitel des ersten Johannesbriefs. Sie liest: «In der Liebe gibt es keine Furcht, denn Gottes vollkommene Liebe vertreibt jede Angst.» Zurückversetzt in diesen Moment erzählt die Latina begeistert: «Schlagartig war mir klar, dass Gott mich liebt. Er würde nicht zulassen, dass ich auf der Strasse schlafen muss.» Sie fährt fort: «In diesem Moment durchströmte mich eine Wärme von Kopf bis Fuss. Frieden und Liebe, wie ich sie noch nie zuvor empfunden hatte, erfüllten mein Herz.» Plötzlich ruft jemand Rosalbas Namen, kommt auf sie zu. Sie kennt den Mann aus dem Spital und schüttet ihm ihr Herz aus. Bevor der Italiener geht, drückt er ihr 100 Franken in die Hand.
Irdische Liebe
Am nächsten Morgen erreicht Rosalba die Frau, von der sie die Bibel geschenkt erhielt, zieht gleichentags bei der Dame ein. «Jesus hat mir so viele Signale gesendet», hält Rosalba fest. «Mir war nicht bewusst, dass ich ihn brauche. Ich habe keine Ausschau nach ihm gehalten. Er war es, der mich gesucht und zu sich gezogen hat.»
Unterdessen arbeitet Rosalba als Reinigungskraft und Haushaltshilfe. Eines Tages gerät ihr eine Zeitungsseite mit Kontaktinseraten unter die Augen. Eine Annonce spricht sie sofort an: «Jesus bestimmt mein Leben – deines auch?» Der Mann bittet um Zuschrift mit Foto. Rosalba hat keines, schreibt ihm trotzdem – und erhält prompt Antwort. Noch heute bewegt vom ersten Treffen im Juni 1991, erzählt sie: «Daniel war mit Briefen überflutet worden. Allen lag ein Foto bei, ausser meinem. Im Gebet hatte er entschieden, nur auf einen Brief zu antworten und darauf zu vertrauen, dass es die richtige Frau für ihn sein würde. Es war meiner…»
Auseinandergerissen
Zwei Wochen später erhält Rosalba einen Heiratsantrag, gibt Daniel noch im selben Jahr das Jawort. Rosalbas Mädchen (damals zehn und zwölf Jahre alt) ziehen in die Schweiz und werden auch von den Schwiegereltern sofort ins Herz geschlossen. Fünf weitere Kinder und 32 Ehejahre mit Höhen und Tiefen später, («wobei das Gute stets überwog»), ist Rosalba wieder allein. Nach Daniels Diagnose Magenkrebs starb er 61-jährig innert weniger Wochen im November 2023. Rosalba, die im Oktober ihre Arbeit als Altenpflegerin wegen starker Rückenschmerzen pausiert hatte, versorgte ihren Mann bis zu seinem letzten Atemzug zu Hause.
Selbst unheilbar krank
Damals wusste sie noch nicht, dass auch ihre Schmerzen von Krebs herrührten – einem Lungenkrebs, der in die Knochen gestreut hatte. 2024 haben sich die Metastasen auf den Schädel ausgeweitet. Rosalba gilt als unheilbar, erhielt Bestrahlungen und nimmt starke Medikamente. Trauer und Schmerz lässt sie zu, wenn sie erzählt. Kraft ihres unerschütterlichen Glaubens und Vertrauens in Jesus sprechen auch Zuversicht und tiefe Dankbarkeit aus ihren Worten. «Ich sehe es als Geschenk von Gott, dass Daniel nicht von meiner Krankheit wusste, dass ich noch in der Lage war, ihn zu pflegen», sagt Rosalba.
Sterben, Tod und Trost
Angst vor dem Tod hat die 60-Jährige nicht. Sie weiss: «Bei Gott im Himmel werden alle Schmerzen, alles Leiden und alle Trauer ein Ende haben.» Unbehagen vor dem Sterben empfindet Rosalba wohl: «Ich mache mir Gedanken darüber. Es sind keine schönen Bilder», gibt sie offen zu und fügt an: «Dann flüchte ich mich schnell in die Arme von Jesus – jedes Mal nimmt er mir die Angst und schenkt mir seinen Frieden.»
Wie lang Rosalba ihre Kinder und Enkel noch umarmen kann, weiss sie nicht. Mit sanfter Stimme und festem Herzen betont sie: «Alle meine Lieben sind erwachsen. Wir verbringen viel Zeit miteinander und haben einen wunderbaren Zusammenhalt. Ich habe Glück, mich verabschieden zu dürfen.»
Sehen Sie sich hier den Talk mit Rosalba Rudolf an:
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Datum: 05.11.2024
Autor:
Manuela Herzog
Quelle:
Livenet