Welche Lieder drücken unseren Glauben aus?
«Wollen wir wirklich andere Worship-Texte?» Mit dieser Frage begrüsst Annina Baer zum Livenet-Talk. Gesprächspartner ist der deutsche Lobpreisleiter Arne Kopfermann.
Mit zwölf Jahren fand Arne im Konfirmandenunterricht seines Vaters zum Glauben. «Seitdem habe ich immer grosse Freude an lebendiger Gemeindemusik gehabt.» Er erzählt von der prägenden Gemeinde seiner Kindheit und dem damaligen Einfluss der Vineyard-Bewegung bezüglich Lobpreises. Seit ungefähr 40 Jahren macht er selbst Lobpreismusik und erlebte in dieser Zeit unterschiedlichste Gottesdienstformen. Von Ende der 1990er Jahre bis 2011 war er im Verlag Gerth Medien für Lobpreis und Popmusik verantwortlich. «In dieser Zeit habe ich viel Musik produziert, Songs geschrieben und Lobpreisseminare gehalten.» Auch von der theologischen Seite her habe er sich mit dem Thema beschäftigt.
Inhaltlich von den Psalmen entfernt
«Vor acht oder neun Jahren machte erstmals das Wort Lobpreismüdigkeit die Runde», holt Arne aus. Viele Gemeindemitglieder hatten das Gefühl, die Lieder würden ihr Glaubensleben nicht mehr so beschreiben wie in früheren Jahren. «Zu viele Texte handeln davon, wie ich mich in meiner Beziehung mit Gott gerade fühle.» Inhaltlich haben sich heutige Lieder stark vom Buch der Psalmen entfernt. In Liedern der alten Gesangsbücher sei das anders. Dort spüre man, wie die Schreiber durch persönliches Leid hindurchgegangen sind.
Auf diesen Sachverhalt wurde reagiert. Andere textliche Inhalte sollten den Weg ins kirchliche Liedgut finden. Arne empfindet es als wichtig, dass Themen wie das Bewahren der Schöpfung oder das Leiden einfliessen. Trotz der Anfrage nach grosser textlicher Breite stellt er fest, dass Songs, die sich inhaltlich vom Bisherigen unterscheiden, am wenigsten abgerufen werden.
«Ist unsere Theologie lebenstauglich?»
«Wenn ich durch eine Zeit der Tiefe hindurchgehe, welche Worte habe ich dann, um sie Gott entgegenzuschleudern?» Auch das Klagen muss Platz haben. In Zeiten von Corona oder Krieg auf europäischem Boden müssen sich Christen in entsprechenden Liedern wiederzufinden können. «Gott anzuschauen und von ihm inspiriert zu werden, ist unglaublich powervoll.» Es sei der Charakter von Lobpreis, von sich selbst und seinen Sorgen weg und auf Gott zu schauen. Das hat eine befreiende Wirkung und sollte auf keinen Fall aufgegeben werden. «Schwierig wird es, wenn man dabei stehenbleibt, sich in eine Scheinwelt flüchtet und dies dann nicht mehr alltagstauglich ist.» Arne macht keine Werbung gegen klassischen Lobpreis, strebt aber eine neue Weite und dadurch Bereicherung an. «Was singen wir den Leuten ins Herz?», fragt er. «Ist unsere Theologie wirklich lebenstauglich?»
Raum fürs Leid und zum Klagen
Als Arne durch einen Autounfall seine Tochter verlor, stand sein ganzes Leben auf dem Prüfstand – auch seine Beziehung mit Gott. «Seither habe ich manche frommen Sätze hinter mir gelassen, die einfach zu vollmundig waren.» Der Umgang mit Leid soll in Gottesdiensten seinen Platz finden. Einen guten Ausdruck hierfür sieht Arne im Abendmahl. «Jesus hat sich bis aufs Äusserste mit dem Leid der Menschen solidarisiert.»
Arne erwähnt, dass 65 der 150 Psalmen Klagepsalmen sind. Durch das Klagen bleibt der Kommunikationsstrom mit Gott auch offen, wenn es dem Beter nicht nach Loben zumute ist. «Wenn Menschen nicht auch für schwierige Zeiten des Lebens Lieder finden, werden sie in solchen Zeiten Gott gegenüber sprachlos sein. Und das führt zum Beziehungsverlust.»
Die Kultur berücksichtigen
Kulturelle Eigenschaften entscheiden, wie wir Lieder wahrnehmen und singen. Arne betont, dass die Deutschen (und hier schliesst er Schweizer ein) kein Volk von Superlativen seien. Im Gegensatz zu Liedtexten aus Übersee, wo der Glaube als eine immerwährend fröhliche Sache beschrieben wird, brauchen sie mehr Ernsthaftigkeit. Menschen, die sich ernste Gedanken über ihren Glauben machen, erkennen das Glaubensleben eher als einen Wellengang mit Hochs und Tiefs als einer ständigen Aufwärtsentwicklung.
Bei der Frage, was uns die Gemeinschaft – inmitten von Meinungsvielfalt und schier grenzenlosen Onlineangeboten – noch bietet, erwähnt er Anbetung als Schlüsselfaktor. Gemeinsam mit anderen Christen im gleichen Raum Gott anzubeten, ist bedeutungsvoll.
Umbruch und Aufbruch
In politischer, gesellschaftlicher und kirchlicher Hinsicht erkennt Arne eine Zeit des Umbruchs. Deshalb gelte es, Fragen zu stellen und neue Wege zu suchen. In seinem Buch «Auf zu neuen Ufern» geht er auf diese Thematik ein. «Wenn du das Gefühl hast, dass dein Glaube nicht mehr stimmig ist, musst du darauf reagieren, sonst verlierst du die treibende Kraft und die Leidenschaft für Gott.»
«Wie stelle ich mir den idealen Gottesdienst vor?», fragt Arne – wohlwissend, dass das Ideal immer an der Realität scheitert. Doch die Überlegungen sind wertvoll. «Kann ich im Gottesdienst vermitteln, was ich glaube? Auch für Menschen, die keinen Bezug zur Gemeinde haben?» Die Fragen gehen weiter: Bin ich in meiner eigenen Glaubensentwicklung fremdgesteuert? Sagt mir jemand, was und wie ich glauben soll? Nehme ich die Bibel ernst, die sagt, dass der Heilige Geist den einzelnen Gläubigen in den Dingen Gottes unterrichten wird?
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Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Livenet