«Angst ist normal – sogar Jesus hat sie erlebt»
Curtis Chang, heute Leiter von «Redeeming Babel» kam in Taiwan zur Welt, als er drei Jahre alt war, zog die Familie nach Chicago. «Meine Eltern gehörten zur Arbeiterklasse, ich wuchs in Knappheit auf, stets in der Angst, dass wir nicht genug haben würden.»
Viele Einwanderer seiner Generation gerieten in die eigenartige Lage, «fast die Rolle der Eltern zu spielen, da man die Kultur in gewisser Weise besser verstand als sie».
Das löste Ängste aus, zum Beispiel, dass man sich um seine Eltern kümmern musste, weil man der Dolmetscher war – sozusagen die Brücke zur Aussenwelt. «Diese Gefühle der Last, der Verantwortung und die Unfähigkeit, sich völlig zu entspannen, waren bei mir schon in jungen Jahren da.»
Angst im leeren Haus
Als Kind war er oft allein daheim. «Nach der Schule musste ich nach Hause laufen, den Schlüssel aus dem Versteck holen und ins leere Haus gehen. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört die Angst: Im alten, leeren Haus knackte und knarrte es.»
Er schreckte auf und dachte, jemand wäre auf dem Dachboden. «Als Sieben- oder Achtjähriger kann man sich alle möglichen Schreckensszenarien vorstellen. Und dann war da die Angst, ob meine Eltern es nach Hause schaffen würden. Ich entwickelte die Angst, dass sie auf dem Heimweg bei einem Unfall sterben könnten.»
«Alle haben Angst»
Wir alle haben eine gewisse Verlustangst, sagt Curtis Chang. «Unsere Kindheit macht uns oft besonders empfindlich oder anfällig für bestimmte Arten von Verlust. In meinem Fall ging es um den Verlust der Versorgung und was passieren würde, wenn meine Eltern nicht nach Hause kommen. Wer würde sich dann um uns kümmern?»
Je mehr sich dies jedoch zu einer ausgewachsenen Angststörung ausweitet, desto mehr wird es zum Problem. «Mensch sein, ein Geschöpf sein, bedeutet, dass wir immer anfällig für Verluste sind, was bedeutet, dass wir immer anfällig für Ängste sind. Wenn wir versuchen, uns Bewältigungsmechanismen auszudenken, wie ich es tat, als ich acht Jahre alt war und auf meine Eltern wartete, dann werden diese Bewältigungsmechanismen niemals dazu führen, dass die Angst verschwindet, denn wir werden immer anfällig für Verluste sein.»
Die verheerendste Erfahrung
«Meine verheerendste Erfahrung mit Ängsten war, dass ich die Tatsache, dass ich unter Ängsten litt, nicht wahrhaben wollte», reflektiert Curtis Chang. «Ich war Pastor in einer christlichen Gemeinde und ich hatte die Vorstellung verinnerlicht, dass Ängste ein Zeichen für mangelnden Glauben sind. Ich dachte, wenn ich mir meine Ängste eingestehe, würde das irgendwie zeigen, dass ich kein guter Pastor bin.»
Er versuchte, alles im Griff zu haben und alles so zu gestalten, dass er keinen Verlust an Status, Mitgliedern oder Spenden erlebt. «Doch all diese Dinge sind eingetreten. Meine Bewältigungsmechanismen versagten, und es wurde so schlimm, dass ich zwei Wochen lang nicht schlafen konnte. Ich konnte einfach nicht schlafen. Ich war zu verängstigt, zu aufgewühlt, mein Gehirn lief auf Hochtouren und ich grübelte nur noch. Das führte zu einem völligen Zusammenbruch.»
Angst ist normal – sogar Jesus hat sie erlebt
Am Ende wurde Curtis Chang arbeitsunfähig, seine intensive Angst ging in eine Depression über.
«In der Heiligen Schrift gibt es mehrere Berichte – einschliesslich des Berichts über Jesus im entscheidenden Moment seines Lebens, als er auf dem Weg zum Kreuz war – die zeigen, dass Jesus Ängste erlebte. Jesus erlebte emotionale psychische Not, als er über seine Zukunft nachdachte. Das allein sollte uns sagen, dass, wenn Jesus selbst die Symptome von Angst erlebte, dies keine Sünde ist, kein Charakterfehler, sondern das, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und dass es einen Unterschied zwischen Angst und Angststörungen gibt. Die Angst selbst ist ein normaler menschlicher Zustand.»
Aber Mensch zu sein bedeute, durch diese Tür der Angst hindurchzugehen. «Es ist sinnlos zu versuchen, vor dieser Tür wegzulaufen oder sie zu umgehen, denn wir werden in unserem Leben unweigerlich mit Verlusten konfrontiert werden. Und Jesus hat uns schon am Kreuz den Weg gezeigt, indem er durch den Tod hindurchgegangen ist. Er ist durch diese Tür gegangen und nicht weg von ihr und nicht um sie herum. Er hat damit gezeigt, dass die christuszentrierte Art, der Angst zu begegnen, darin besteht, tatsächlich durch sie hindurchzugehen.»
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Datum: 05.06.2023
Autor:
Jesus Calling / Daniel Gerber
Quelle:
Jesus Calling / gekürzte Übersetzung: Jesus.ch