Von Verzweiflung zur Erkenntnis, dass Friede möglich ist
«Ich bin in einer jüdischen Familie in Israel aufgewachsen», erzählt Assaf Zeevi. Seine frühe Biografie gleiche derjenigen von mehrerer Millionen anderer Juden. «Irgendwann lernte ich eine deutsche Frau kennen, dies ist auch mein Bezug zur deutschen Sprache.» Die beiden leben heute am Bodensee, aber auch in Israel. «Ich bin sehr oft und intensiv, mindestens gedanklich, aber auch physisch in Israel.»
«Wie denn sonst, wenn nicht gemeinsam?»
Nach seinem Buch «Lass das Land erzählen» erschien kürzlich Assafs zweite Buch «Wie denn sonst, wenn nicht gemeinsam?». Die Veröffentlichung ist Grund für Assafs Besuch im Livenet-Talk. «Die beiden Bücher verkörpern zwei Herzblutthemen von mir, die mich schon immer beschäftigt haben.» Es sind die zwei Geschichten seines Landes. Israel sei einerseits das Land der Bibel (erstes Buch), andererseits ein politischer Krisenherd (zweites Buch).
«Irgendwann habe ich verstanden, dass ich den Konflikt nicht verstehe», blickt Assaf auf einen wesentlichen Moment seines Lebens zurück. «Die meisten verstehen den Konflikt nicht, weil wir jeweils nur Ausschnitte kennen.» Nur wenige haben ein vollständiges Bild. «Deshalb und auch wegen des Gefühls der Verzweiflung und Ratlosigkeit, habe ich mich vor einem guten Jahrzehnt auf die Reise gemacht, um diesen Konflikt zu verstehen.» Dabei kam er mit verschiedenen Menschen aus unterschiedlichsten Gruppierungen ins Gespräch.
Ein Buch als Resultat einer Reise
Den Inhalt des Buches vergleicht Assaf mit einem Espresso. «Nur, dass du keine Espressotasse hast, sondern ein Fass.» Damit drückt er die Informationsdichte und -menge des komplexen Themas aus. Das Buch müsse langsam durchgearbeitet und dabei viel verdaut werden. «Der Prozess, den ich hinter mir habe, begann mit Verzweiflung, endete aber mit der Erkenntnis, dass Friede sehr wohl möglich ist.»
Zumindest auf persönlicher Ebene sei dies tatsächlich so. «Du kannst sehen, wie der radikalste jüdische Parlamentarier, wenn die Kameras aus sind, mit dem Anführer einer islamistischen Gruppe einen Kaffee trinkt und sich mit ihm lachend unterhält.» Wenn man aber erwartet, dass Friede auf der politischen, nationalen Ebene erreicht wird, ist die Sache sehr viel schwerer. Die Vorstellung, dass Vertreter der verschiedenen Gruppen an einen Tisch sitzen, die Karte aufschlagen und mit einem Kompromiss eine Lösung finden, schlägt Assaf kategorisch aus. «Das wir nie passieren!»
Konflikt in der Ukraine
Im Talk kommt auch der aktuelle Ukraine-Krieg zur Sprache. «Wer hätte gedacht, dass im Jahr 2022 so etwas möglich ist», sagt Assaf. «Leider scheint es so, dass Kriege ein Teil von uns Menschen sind.» Mit dem Nahostkonflikt könne dieser Krieg jedoch nicht verglichen werden. «Der Krieg in der Ukraine ist der Krieg Putins, eines alten Mannes, der entschieden hat, was das Beste ist. Die russische Bevölkerung steht nicht dahinter, es ging auch kein Konflikt der Völker voraus und es steht keine Ideologie dahinter.» All dies seien wesentliche Unterschiede zum Nahostkonflikt. «Wenn die Gewalt in der Ukraine aufhört, bleibt vielleicht der Hass wegen der üblen Erfahrung noch bestehen. In fünf oder zehn Jahre wird der Krieg aber ein Kapitel der Geschichte sein.»
Bezüglich des Krieges in der Ukraine spricht Assaf von einer Sonderrolle Israels. «Putin hat nicht sehr viele Alternativen, mit wem er im Westen sprechen kann und wer unbeteiligt und neutral sein möchte.» In diesem Sinn sei Israel zum Sprachrohr geworden. «Einerseits hat Israel starke Beziehungen mit der Ukraine, andererseits ist es, wegen der russischen Kontrolle Syriens, von Putin abhängig. Deshalb hat Israel das Bedürfnis, so neutral wie möglich zu bleiben. Nicht aus Liebe oder Moral heraus, sondern aus eigenen Interessensgründen. Das ist Politik.»
Die Zukunft Israels
«Als Israeli im Ausland habe ich mich schon öfters gewundert, wie Menschen ohne Bezug zu Israel glauben, eine feste Meinung zum Nahostkonflikt haben zu müssen.» Auch in christlichen Kreisen werde oft eine absolute pro- oder contra-Haltung eingenommen. Der Konflikt sei sehr viel komplexer. Bei seinen Recherchen war Assaf unter anderem daran interessiert, welche Perspektive verschiedene Menschen auf die Zukunft haben. «Da war ich sehr ernüchtert», ist sein Fazit. «Wenn es um die Zukunft Israels geht, sollten wir uns an die Bibel halten und auf Propheten wie Sacharja, Jesaja usw. hören. Wir haben keine andere Grundlage.» Dadurch können wir zu einer positiven und konstruktiven Sichtweise gelangen.
Im Talk erzählt Assaf auch, wie er sich als Israeli an gewissen Schauplätzen einschleichen oder einen israelischen Soldaten davon überzeugen musste, dass er mit seinem palästinensischen Beifahrer befreundet sei.
Mehr über Assaf Zeevi und die Möglichkeit zum Bestellen seiner Bücher findet sich hier.
Sehen Sie sich hier den Livenet-Talk an:
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Datum: 12.03.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet