«Hilfe, es wird Weihnachten»
«Der Impuls kam von idea Spektrum», sagt dazu die langjährige psychologische Beraterin und Buchautorin Kathi Kaldewey aus Riehen. Und zwar durch die Rezension des ersten Buches des mehrfach behinderten Jugendlichen Raphael Müller. Dass ein autistischer Jugendlicher, der nicht sprechen und sich zudem kaum bewegen kann, ein Buch mit dem Titel «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln» schrieb, hat sie bewegt. Sie kaufte das Buch und merkte bald, dass ihr der Autor vieles zu sagen hatte. Besonders auch durch die Gedichte, von denen er einige schon mit 8 Jahren geschrieben hatte.
Eine unerwartete Reaktion mit Folgen
Sie begann, Ausschnitte und Gedichte aus dem Buch in eigenen Veranstaltungen und Gottesdiensten einzusetzen und war überrascht über das starke Feedback. Sie berichtete dies dem Verlag, der das Mail an den Autor weiterleitete. Dieser reagierte sofort darauf, und es entstand eine lebhafte Korrespondenz. Raphael ist in der Lage, sich, von seiner Mutter gestützt, über einen Tablet-Computer zu verständigen, indem er mit einem Finger die virtuelle Tastatur bedient.
Der Advent 2014 war eben angebrochen. Raphael schickte ihr jeden Tag ein Gedicht oder eine Geschichte zu Advent und Weihnachten. Bereits das erste Gedicht traf sie ganz existentiell in einer Krisenstimmung und «berührte mich total».
Kathi Kaldewey hatte selbst vor fast 30 Jahren ein Buch für die Weihnachtszeit geschrieben, als sie als junger, frisch zum Glauben gekommener Mensch, Weihnachten völlig neu entdeckte. Es war ein engagiertes Plädoyer für die bewusste Gestaltung der Weihnachtszeit, dazu eine erlesene Sammlung von Geschichten, die sie selbst aus verschiedenen Quellen gesammelt hatte.
Das «coole» Angebot
Dann folgte im Januar ein Brief ihres Verlegers mit dem Vorschlag, das alte Weihnachtsbuch neu aufzulegen. Sie hielt aber die damaligen Geschichten nicht mehr für zeitgemäss und lehnte ab. Doch dann «klickte» es: Die alten Geschichten mit neuen Geschichten und Gedichten von Raphael Müller auszutauschen! Das schlug sie umgehend Raphael vor, der mit den Worten reagierte: «obercool!». Der Verleger war ebenso begeistert – und bereits im August war das Buch auf dem Markt.
Es enthält im ersten Teil die Einladung, sich auf ganz neue Weise auf den Geburtstag Christi vorzubereiten, den Wert guter Traditionen und Bräuche nicht zu verachten und dies auf vielfältige kreative Weise zu tun – unterbrochen von Gedichten von Raphael. Im zweiten Teil folgt dann eine Auswahl seiner Geschichten.
Der Entstehungsprozess enthielt eine besondere Dynamik. Raphael ist ein hochsensibler Autist. Ein direkter Augenkontakt ist nicht möglich. Doch er nimmt alles detailliert wahr, hat ein fotografisches Gedächtnis und ist hochbegabt. Er las zum Beispiel auch das Buch von Kathis Ehemann Jens Kaldewey «Die starke Hand Gottes – Der fünffältige Dienst» und erkannte sich darin als (stummen) Propheten.
Seine Mutter sagt über ihn: «Er hat den Körper eines Babys, die Emotionen eines Jugendlichen, den Verstand eines Erwachsenen und die Weisheit eines 80-Jährigen.» Er «sprach» dieses Jahr als Special Guest auf St. Chrischona zu über 800 Senioren zum Thema «Wenn die Gesundheit geht und das Heil kommt».
Von Engeln und der Mutter behütet
Wie aber kommt ein Mensch wie Raphael Müller zum Glauben, dessen Kommunikationsmöglichkeiten so eingeschränkt sind? Kathi Kaldewey hat mit ihm darüber gesprochen. «Er sagt, dass er immer an Gott geglaubt habe. Es sei für ihn das Natürlichste der Welt.» Er sieht auch Engel und berichtet darüber im Buch «Ich fliege mit zerrissenen Flügeln». Eine besondere Rolle spielt seine Mutter, zu der er eine enge Beziehung hat und dies auch wertschätzt. Sie war es auch, die – gegen die Beurteilung des Kinderarztes – seine hohe Begabung erahnte, sie entdeckte und mit aller Kraft förderte.
Raphael Müller wird zusammen mit Kathi und Jens Kaldewey an einem Wochenendseminar vom 20. – 22. November im Kurhaus Ländli, Oberägeri, sein, an dem auch Lesungen von Texten und ein Lebensbericht von Raphael Müller zu hören sein werden.
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Datum: 14.11.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / ideaSpektrum