«Wir leben zu schnell»
Die beiden Projekttage vom 17. und 18. Februar 2014 am Theologisch-Diakonischen Seminar Aarau haben eine klare Zielsetzung: Die Studierenden sollen «ermutigt werden, im privaten wie im beruflichen Kontext als Christinnen und Christen verbindliche Gemeinschaft zu leben». Bevor sie in Workshops kreativ werden, erhalten die rund 80 Frauen und Männer viel Stoff zum Reflektieren: «Was darf Verbindlichkeit kosten und woher kommt die Energie dazu?», fragt der Referent Dominik Klenk.
Man kann nichts geben, wenn man nicht empfangen hat
Zehn Stunden pausenlos arbeiten, danach für die Kleingruppe kochen und von Acht bis Elf mit anderen Christen über gelingendes Leben austauschen. Sieht so – kurz zusammengefasst – der ideale Wochentag in verbindlicher Gemeinschaft aus? Doppelt falsch, sagt Dominik Klenk, erstens brenne man so auf die Dauer aus, und zweitens könne man der Gemeinschaft nichts geben, wenn man nicht zunächst empfangen hat. Die Antwort auf die erste der beiden Einstiegsfragen ist damit gegeben: Verbindliche Gemeinschaft kann nicht in der Alltagshektik gelebt werden, sondern darf und soll Zeit kosten. Dominik Klenk, promovierter Philosoph und langjähriger Leiter einer Kommunität, betrachtet die permanente Beschleunigung als grösste gesellschaftliche Herausforderung unserer Generation. Wir würden heute rund doppelt so schnell wie vor zwanzig Jahren und viermal so schnell wie vor vierzig Jahren leben, bilanziert er, und weist auf die drohenden Gefahren hin: Überforderung, schlechtere Selbst- und Fremdwahrnehmung, zunehmende Gleichgültigkeit bis zum Burnout. Der Referent ortet auch Gründe für scheiternde Beziehungen oder Gemeindespaltungen im permanenten Zeitdruck: Die Ressourcen der seelischen und emotionalen Spannkraft würden sukzessive verbraucht und die aufmerksame Zuwendung zum Partner erschwert. Beziehungen würden zwar vordergründig gelebt, aber häufig ohne wirklichen Kontakt.
Geistliches Sonnenbaden statt pausenloses Gehetze
Klenk rät zum radikalen Umdenken. Als Bild für einen gesunden Lebensstil verwendet er den römischen Brunnen mit drei von oben nach unten überfliessenden Wasserschalen. Er nennt die drei Schalen A, B und S (Metapher: ABS = Anti-Blockier-System) und beschreibt sie wie folgt: A stehe für «Arbeit», «Anforderungen» und «Aufgaben». Diese Schale ordnet er zuunterst an und gibt ihr damit nur dritte Priorität. Die Schale B sei als Ort für «Beziehungen» und «Begegnungen» in der Mitte zu installieren. Zuoberst, mit höchster Priorität, sieht der Referent die Schale S, die «Stille», «Sein» und «Spiritualität» bedeute. Statt in Hektik und Aktivismus zu verharren, gelte es, täglich die Hände zu öffnen und zu empfangen. Klenk ermutigt dazu, sich bereits morgens beim Aufwachen auf Gott auszurichten und sich in der Stille regelmässig beschenken zu lassen. Dabei zitiert er den früheren UNO-Generalsekretär Dag Hammerskjold: «Ich halte Gott jeden Morgen meine Hände als leere Schalen hin.» Mit dem Bild des überfliessenden Wassers aus der obersten Schale S in die Schale B schlägt Dominik Klenk den Bogen zum Thema «verbindliche Gemeinschaft» und beantwortet damit auch die zweite Einstiegsfrage: Was wir empfangen, können wir in die Gemeinschaft einbringen. Kirchen legt Klenk ans Herz, Gefässe anzubieten, in denen Menschen zu sich selbst kommen können. Sie müssten Antworten und Alternativen auf die Herausforderung der beschleunigten und ausbrennenden Gesellschaft bereithalten. «Geistliches Sonnenbaden» solle zu einem festen Teil der Alltagsliturgie werden.
Dr. Dominik Klenk ist Journalist und Medienpädagoge sowie promovierter Philosoph. Er leitet seit 2012 den Brunnen-Verlag Basel. Zwischen 1987 und 2002 war Dominik Klenk Handballprofi und Unternehmer, 2002 bis 2012 Leiter und Prior der Offensive Junger Christen (OJC), einer ökumenischen Kommunität innerhalb der evangelischen Kirche. Er ist zudem Autor mehrerer Fachbücher. Zuletzt erschien 2013 im Brunnen-Verlag sein Werk «Wie Gefährten leben – eine Grammatik der Gemeinschaft». Dominik Klenk ist verheiratet mit Christine Klenk und Vater von drei Kindern.
Das TDS Aarau ist eine Höhere Fachschule für Kirche, Diakonie und Mission. Das Studium verbindet biblisch-theologische Kompetenz mit Praxiserfahrung aus Sozialer Arbeit und Pädagogik. Kernangebot ist der vierjährige Studiengang in Sozialdiakonie mit landes- und freikirchlich anerkanntem Diplom. Die Ausbildung kann vollzeitlich oder berufsbegleitend absolviert werden. Die Projekttage finden als integraler Bestandteil des Curriculums jährlich statt und vertiefen einen Studienschwerpunkt.
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Datum: 24.02.2014
Autor: André Kesper
Quelle: TDS Aarau, Bearbeitung Livenet