Die Würde von fehlgeborenem Leben
Florian Wüthrich taucht im Gespräch in eine Männerfreundschaft ein, die besondere Tragfähigkeit bewies. Sam Urech und Benjamin Kilchör haben einen Teil ihrer Kindheit zusammen verbracht und gingen beide in die FMG Wetzikon. Sam Urech ist den Livenet-Lesern von seinen Kolumnen her bekannt. Er ist verheiratet und Vater zweier Jungs. Er hat viele Jahre beim Blick als Sportjournalist gearbeitet und ist heute Inhaber der Kommunikationsagentur «ratsam». Benjamin Kilchör ist reformierter Pfarrer und unter anderem als Professor für Altes Testament an der STH Basel tätig.
Schicksalsschlag: Erleichterung, dann Riesenschock
Familie Urech haben zwei gesunde Söhne. Früher erlebten sie eine Fehlgeburt zu einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft. Nach den Bubengeburten folgte eine erneute Fehlgeburt, obwohl nach der 13. Schwangerschaftswoche alles bestens ausgesehen hatte. Dann kam eine weitere Kontrolle, bei der keine Herzaktionen mehr festgestellt wurden – das Kind war verstorben, völlig unterwartet. Sam Urech erzählt: «Es war für uns ein Schock, ein heftiger Schlag, wir waren total schockiert. Aber schon bald ging es darum, ob man das Kind operativ entfernen soll oder wollen wir es gebären…?» Wie sollte es weitergehen? In der 16.Woche wurde die kleine «Johanna» geboren.
Fehlgeburt durchstehen
Der Talkmaster weist im Talk darauf hin, dass es ein Tabuthema ist und fragt, weshalb es Urechs ein Anliegen ist, darüber zu sprechen. Doch das Thema des «ungeborenen Lebens» war für den Vater bis dahin eine Abtreibungsfrage gewesen. Damals kamen neue Dimensionen dazu.
Es war ein heftiger Geburtsprozess und dauerte länger als erwartet. Im Moment der Geburt wurde es ganz still: «Die Hebammen, meine Frau war still, ich war still – und auch das Kind war still. Im nächsten Moment gab man mir das Töchterlein. Ich lag zwei Stunden neben dem leblosen Körper. Alles war da, Fingernägelein, Zehennägelein. Der Schmerz war sehr, sehr gross», beschreibt Sam Urech bildhaft. In den folgenden Tagen realisierte er, wie viele Leute dieses Schicksal teilten. Viele Menschen erzählten dem Ehepaar dann ihre eigene Geschichte. Es sei absolut ein Thema, ergänzt er im Talk.
Theologische Antworten schenkten Freude
Bei Urechs kamen viele Fragen auf: Wie wollten sie das Kind beerdigen, sollten sie den kleinen Körper kremieren lassen, konnte «Johanna» sie sehen? Sam Urech gelangte mit den Themen an seinen Freund Benjamin Kilchör, weil er für ihn eine zuverlässige Adresse war. So wurde die anschliessende E-Mail mit den Antworten seines Freundes zur wertvollsten Unterstützung in dieser schweren Zeit.
Der Theologe Kilchör ging vorwiegend auf zwei Fragen ein: Ist das Ungeborene ein vollwertiger Mensch oder nur Materie? Und was passiert nach dem Tod? Dazu dienten ihm verschiedene Bibelstellen, beispielsweise «wie Gott den Menschen schon im Mutterleibe formt und gestaltet», zitiert Benjamin Kilchör. Zum zweiten Punkt sieht er als Beispiel «die Wolke von Zeugen», also Verstorbene, die auf irgendeine Art durch ihre Präsenz mit ihren Gedanken und Augen bei uns sein könnten.
Für Sam Urech waren die Antworten und das Einordnen äusserst wichtig. So hatte das Ehepaar zumindest Ideen von Weiterexistenzen, als sie das Särglein in den Ofen schoben, damit sie es dann beerdigen konnten. «Sie sieht uns jetzt, möglicherweise. Sie lebt. Ich glaube, dass sie mich jetzt sieht. Das hat mir sehr viel Trost gegeben», erklärt er.
Zellklumpen oder heiliges Leben?
Florian Wüthrich fragt Benjamin Kilchör noch, ob ihn die Begebenheit zu dieser Thematik aktiver werden liess? Der Theologe sei mehr vom gesamten Kontext beeinflusst, welchen Wert das Leben im Allgemeinen habe. Auch sei es die Frage, ob man materialistisch glaube oder an Transzendenz; also ob es nur ein Klumpen Material ist, oder ob mehr dahinterstecke, meint er und ergänzt: «Spricht man von Zellklumpen oder einer Heiligkeit des Lebens? Dazu gehören auch Gebiete wie Transhumanismus, wo der Körper mit Technik verbunden werde und anderes.»
Guter Umgang mit Totgeburt, auch mit Betroffenen
Nach einem Rat gefragt, antwortet Sam Urech, dass man bei Betroffenen keine zu lockeren, zu oberflächlichen Sprüche machen sollte.
Den Betroffenen rät er, dass man das Erlebte nicht verschweige, verdränge. Man solle lernen, darüber zu sprechen, hinzuschauen, bis man an den Punkt komme, an dem es abgeschlossen sei. Er schliesst mit den Worten: «Ich bin sehr dankbar, dass Gott uns so durchgetragen hat, und das wünsche ich auch jeder Person!»
Sehen Sie sich hier den Talk mit Sam Urech und Benjamin Kilchör an:
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Datum: 13.09.2024
Autor:
Roland Streit
Quelle:
Livenet