Wie zu mir, so zu meinem Nachbarn
Keine Frage, wir haben den Auftrag, die beste Botschaft der Welt weiter zu tragen (Markus 16,15). Aber gerade bei meinen Nachbarn tue ich mich schwer. Vielleicht deshalb, weil diese sowieso wissen (oder meinen zu wissen) was ich glaube, beruflich mache, wohin ich am Sonntagmorgen gehe. Einerseits will ich den Auftrag Jesu erfüllen. Andererseits will ich nicht mit dem Evangelium hausieren. Doch wie kommt dann das Reich Gottes, das zu mir gekommen ist, auch zu meinem Nachbarn?
Jesus hat immer wieder vom «Reich Gottes» und vom «Himmelreich» gesprochen. Viele denken dabei an einen weit entfernt liegenden Ort, wohin wir gehen werden, wenn wir sterben. Das ist aber nicht das, was Jesus mit «Reich Gottes» gemeint hat. Das «Reich Gottes» ist die Wirklichkeit, wo das geschieht, was Gott will. Wo Gott König ist. Wo er regiert. Das ist Gottes Reich. Wir haben unsere eigenen Reiche. Da sagen wir, was gilt. Und auch unsere Nachbarn haben ihre Reiche. Manchmal sind diese Reiche sogar abgetrennt durch «Wege und Zäune» (Lukas 14,23).
Briefe statt Briefträger
Jesus hat seine Jünger beten gelehrt: «Dein Reich komme! Dein Wille geschehe, wie Himmel und auf Erden …!» (Matthäus 6,10). Gottes Reich soll kommen. Gottes Reich soll grösser werden. Nicht das unsrige. Aber wir können das Reich Gottes nicht vergrössern; dies liegt nicht in unserer Macht. Das Reich Gottes beginnt zu wachsen, wenn wir anfangen, das umzusetzen, was Jesus gelehrt und gelebt hat. In der Bergpredigt hat Jesus Beispiele gegeben wie Menschen, die in seinem Reich leben, mit den Herausforderungen des täglichen Lebens umgehen. In diesem Reich sind Menschen Christen sind nicht Briefträger, sie sind Briefe des Evangeliums, geprägt von der Liebe Gottes. Und sie lieben auch, wenn es nicht einfach ist. Das ist eine neue Art von Liebe. Mit dieser Liebe wird etwas geschehen im Himmel und auf Erden und am Nachbarszaun.
Da hänge ich frühmorgens draussen die Wäsche auf. Mein Nachbar schaut mir aus einem offenen Fenster zu. Wir grüssen einander mit einer freundlichen Handbewegung. Nachdem ich mit Aufhängen fertig bin, frage ich ihn, ob ich kurz rüber kommen kann und aus dem «kurz» wurde «länger». Ein Gespräch entwickelt sich, und auf einmal sind aktuelle Nöte das Gesprächsthema. Nicht nur gesundheitliche oder familiäre Dinge können gross werden. Manchmal sind es auch einfach ganz praktische Arbeiten, die übergross und belastend werden können. Ob gerade ich derjenige bin, der da Abhilfe schaffen kann?
Wenn ich mir bewusst werde, dass Gottes Reich schon dort beginnt, wo ich als Jünger hinkomme, hinhöre, anpacke, liebe … werde ich auch ganz anders – mit einer natürlichen innerlichen Freude – von dem erzählen, der mein Leben verändert hat. Dann muss ich nicht die Botschaft weitertragen, sondern dann bin ich die Botschaft Jesu. Oder wie es Theo Sundermeier einmal ausgedrückt hat: «Christen sind Briefe, nicht Briefträger des Evangeliums.»
Wie kommt das Reich Gottes, das zu uns gekommen ist, auch zu unseren Nachbarn? Sie haben es gemerkt: durch uns und unsere Beziehung zu ihnen!
Thomas Gerber ist Pfarrer in der EGW Kerzers
Datum: 31.10.2012
Autor: Thomas Gerber
Quelle: Wort+Wärch