Innere Heilung nach Missbrauch
Dass die Stiftung Schleife in Winterthur zu einem Anlass mit Paul Young einlud, rief einige kritische Stimmen auf den Plan. «Wir wurden auf die Tendenz der Allversöhnung hingewiesen», erklärte Moderator Thomas Bänziger, theologisch-pastoraler Leiter der Stiftung Schleife. Diese Hinweise hätte das Leitungsteam ernst genommen und mit Paul Young und dem Dekan einer theologischen Fakultät darüber gesprochen. «Wir weichen der Auseinandersetzung nicht aus – Liebe und Wahrheit müssen zusammen gehen», hält Bänziger fest. «Wir nehmen Pauls Gabe wahr, sehen aber auch das theologisch Problematische und die daraus resultierende Polarisierung.»
Paul Young versicherte dem Publikum: «Ich bin kein Allversöhner. Ohne das vollendete Werk Jesu am Kreuz wäre ich und jeder von uns verloren.» Das ihm dies nicht von allen geglaubt werde, sei ihm bewusst. Eine Besucherin meinte denn auch: «Ich prüfe alles, behalte das Gute und lasse das stehen, was ich nicht einordnen kann.»
Hintergründe
Pauls Eltern dienten als Missionare in Niederländisch-Neuguinea. Zur Erziehung gehörte die Körperstrafe. Paul wurde oft von seinem Vater geschlagen, konnte deshalb keine gute Beziehung zu ihm aufbauen. «Ich hatte hohe Erwartungen an ihn. Die waren wie ein Minenfeld – er wusste nie, wann eine hochgeht.» Er habe seinem Vater nicht die Chance gegeben, sich ihm zu nähern. Dabei habe er ausgeklammert, dass sein Vater auch in einem ungesunden Klima aufgewachsen sei. Er war eines von zehn Kindern gewesen, wurde mit zwölf Jahren Waise. Er hatte körperliche Gewalt erlebt und sie weitergegeben, gleich wie sein Vater. «In unserer Familie gibt es eine Geschichte von Missbrauch und Affären.»
Sexueller Missbrauch
Mit fünf Jahren war auch Paul davon betroffen. Im Schulinternat wurde er sexuell missbraucht. «Als Zwölfjähriger wurde ich pornosüchtig», gesteht er. «Ich schämte mich fürchterlich, lehnte mich ab und fühlte mich nicht zugehörig – ich war zu schlecht.» Er habe niemandem mehr vertraut, flüchtete in die Pornografie: «Sie spiegelt eine Beziehung vor, ohne deren Risiken.» Erst als er viel später erkannte, dass Jesus ihn sieht, nicht seine Taten, konnte er den Pornokonsum hinter sich lassen.
Durch die Erfahrung der bedingungslosen Liebe Gottes wurde er innerhalb einiger Wochen frei davon. «Ich bin nicht, was ich tue. Ich hatte etwas falsch gemacht, aber als Person bin ich nicht falsch», stellt er klar. Alle Menschen seien geschaffen im Ebenbild Gottes: «Er will eine Beziehung mit uns, nicht unsere Leistung. Deshalb weise die Lüge zurück, die dich verurteilt!»
Rückfall
«Es gibt keine Rechtfertigung fürs Fremdgehen – zum Glück ist meine Frau Kim so hartnäckig: sie entdeckte nach drei Monaten, dass ich als 38-Jähriger eine Affäre hatte mit einer ihrer Freundinnen», gesteht Paul. Die beiden gingen zur Ehetherapie, liessen sich helfen, doch er sagt: «Es war die Hölle! Das will ich nie wieder durchmachen!» Es dauerte elf Jahre, bis ihre Ehe wieder auf sicherem Boden stand. «Heute sind wir so glücklich wie nie zuvor», beteuert der 70-Jährige.
Zwangsversteigerung
Doch dann standen sie vor einem weiteren grossen Problem: Sie konnten ihr Haus nicht mehr bezahlen. «Ich bat meine Freunde, mir nicht finanziell zu helfen – ich wollte wissen, was Gott mit mir vorhatte.» Sieben von ihnen begleiteten ihn zum Gerichtstermin, wo alles verkauft wurde, was Wert hatte, auch ihre Autos. Die achtköpfige Familie musste in ein kleines Haus umziehen, die Eltern hatten vier Jobs, um über die Runden zu kommen.
Zugefallen
An Weihnachten 2005 hatten sie kein Geld für Geschenke. «Kim ermutigte mich, für die Kinder eine Geschichte zu schreiben.» Paul erzählte sein Leben in der Parabel «Die Hütte» und liess sie 15 Mal drucken. Acht Exemplare für seine Familie, sieben für seine Freunde. Die waren so beeindruckt, dass sie weitere davon in ihrem Bekanntenkreis verteilten und das Buch schliesslich im Eigenverlag herausgaben. Zuvor hatten 26 Verlage das Manuskript abgelehnt, nun wurde es immer wieder nachbestellt, zum Bestseller, in viele Sprachen übersetzt und schliesslich verfilmt.
Gottes Stimme gehorchen
Kim und Paul erlebten dabei viele Führungen Gottes, die ihnen bestätigten, auf dem rechten Weg zu sein. So hatte einer der Filmemacher das Couvert mit 100 Dollar unter der Tür der Youngs durchgeschoben, mit dem Paul die ersten 15 Kopien bezahlt hatte. Gott habe ihm diesen Impuls gegeben, erzählte er dem Paar später. Ein ihm unbekannter Mann in einer Videothek habe ihm die Adresse genannt, als er ihm erzählte, er wolle einer mittellosen Familie Geld schenken – es war einer von Pauls sieben engen Freunden.
Angst lähmt
Er habe Zeiten der Angst erlebt, gesteht Paul. Und er sei Epileptiker, könnte sich ständig Sorgen machen deswegen. Doch er lerne, im Jetzt zu leben. Denn die Angst vor dem, was kommen könnte, lähme und führe nirgendwo hin. «Geh damit zu Jesus und frage ihn, ob du dich jetzt darum kümmern sollst. Wenn er dir etwas aufzeigt, dann tu das», ermutigte der 17-fache Grossvater. «Und sonst entspann dich und vertraue auf Gott!»
Glück sei von Umständen abhängig, in Gottes Gegenwart herrsche Freude. «Wir sind dazu geschaffen, in Gottes Gegenwart zu leben, nicht, uns von Angst beherrschen zu lassen.» Wer seine düsteren Zukunftsbilder nicht loswerde, solle Jesus bitten, hinein zu kommen: «Das verändert das Bild komplett!» Wir seien nicht allein: «Wer in Gottes Liebe bleibt, erlebt, dass diese die Furcht vertreibt.»
Sehen Sie hier den Vortrag von Paul Young in der Stiftung Schleife:
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Autor:
Mirjam Fisch-Köhler
Quelle:
Livenet