Gemeinde? Brauche ich nicht!
Wahrscheinlich kennt jeder Christ einen oder mehrere Mitchristen, die von Kirche oder Gemeinde in der Vergangenheitsform reden: «Ich glaube an Jesus, aber eine Gemeinde brauche ich nicht mehr.» Sie nehmen nicht verbindlich an einer Gruppe von anderen Christen teil, in welcher Form auch immer. Die Gründe für diese amputierte Form des Christseins sind so zahlreich wie der Sand am Meer und haben nach Untersuchungen übrigens nur zu einem Drittel der Fälle mit Verletzungen zu tun, die einem «die Gemeinde» zugefügt hat. Sicher ist die Massenflucht aus den Gemeinden und das daraus folgende Solo- und Privatchristentum nur auf dem Hintergrund unseres westlichen Extrem-Individualismus zu verstehen; in Kollektivkulturen wie Afrika, Südamerika und teilweise Asien scheint ein Christsein ohne Gemeinde viel seltener und weniger akzeptiert zu sein – geschweige denn in Ländern mit Druck und Verfolgung.
Den Spiess umdrehen
Im Gespräch über die Gründe, warum man/frau/familie sein Christsein ohne Gemeindebezug lebt, werden in der Regel die Defizite angegeben, die die Kirche oder Gemeinde mir gegenüber aufweist: Ich bin enttäuscht, es ist zu viel Religion, zu wenig Liebe, der Pastor oder der Worship sagt mir nicht zu, Gemeinde ist Stress, mich vermisst ja niemand, und und und. Meine Zeit, meine Bedürfnisse und meine unerfüllten Erwartungen stehen im Vordergrund.
Hier ein Gedanke, der in Gesprächen weniger vorkommt. Was, wenn wir den Spiess einmal umdrehen würden und uns fragen: «Was fehlt der Gemeinde, weil ich nicht da bin und weil ich nicht aktiv beitrage?» Nach biblischem Denken hat – ja, ist – jeder Christ eine Gabe für die Gemeinschaft. Wenn ich mich der Gemeinschaft entziehe, beraube ich sie (das ist übrigens die Grundbedeutung des Wortes «privat»). Und wenn ich mich nur als Sitzwärmer im Gottesdienst sehe, liegt dem ein sehr mangelhaftes Verständnis von Gemeinde, Gaben und Funktionen des «Leibes Christi» zugrunde. Gemeinde-abstinente Gläubige machen in Wirklichkeit die Kirche Jesu Christi ärmer; dass sie – früher oder später – geistlich verkümmern werden wie ein Muskel, der nicht gebraucht wird, ist ein Schaden für sie und den Körper.
«Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.» Der berühmte Spruch aus der Amtsantrittsrede von J.F. Kennedy war schon in den 60er Jahren ein wichtiges Korrektiv zum ausufernden Individualismus; auf die Gemeinde übertragen, ist er heute ein Aspekt, der aus unserer Beziehung zu Gott nicht ausgeklammert werden darf.
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Datum: 21.01.2024
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Jesus.ch