Warum schlechte Theologie lebensgefährlich ist
Wenn zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte nicht unbedingt. Oft genug kann er nur den Kopf schütteln. Da sind zum Beispiel zwei Pastorinnen oder zwei Gemeindeleiter unterschiedlicher Meinung und tun das auch kund. Sie legen ihre Argumente auf den Tisch und erwarten, dass das Gegenüber einsichtig wird und auf den eigenen Kurs einschwenkt. Weil das häufig nicht geschieht, wird am Schluss oft die «Keule» geschwungen. «Hier kommen wir mit Argumenten nicht weiter, das ist einfach schlechte Theologie…», heisst es dann. Kein Wunder, dass viele der Zuschauerinnen und Zuschauer sich am liebsten gar nicht erst als Theologen bezeichnen.
Ich doch nicht …
Christliche Laien gehen an dieser Stelle gern einen Schritt zurück und lächeln erleichtert: «Zum Glück habe ich nicht Theologie studiert. Ich bin nicht vom Fach.» In Gedanken setzen sie dann oft hinzu: «Dann muss ich mich auch nicht mit Fragen beschäftigen, die ausser ein paar vergeistigten Superfrommen niemanden interessieren.»
Vielleicht gehen Ihnen solche Streitfragen durch den Kopf, die das anschaulich unterstreichen, denn meist gehen Auseinandersetzungen ja nicht darum, ob man seinen Nächsten lieben sollte oder nicht, sondern eher darum, ob man die Nord- oder die Südgalatische Hypothese favorisiert oder etwas ähnlich «Wichtiges». So verständlich dieser innere Rückzug auch sein mag: Er ist gefährlich. Tatsächlich sind alle an Gott Gläubigen in gewisser Weise Theologen, weil sie sich aus dem, was sie von Gott zu wissen glauben, ein Gottesbild zusammensetzen. Niemand kann hierbei alles wissen (auch nicht mit einem Studium!), aber was geschieht, wenn man ein toxisches Gottesbild entwickelt?
Fehlsichtigkeit mit Folgen
Christy Thomas, eine ehemalige Älteste der Methodistenkirche, erzählt in ihrem Blog sehr praktisch, wie solch ein verkehrtes Gottesbild zur Gefahr werden kann und unterstreicht: Schlechte Theologie kann tödlich sein. Sie berichtet, dass sie an den heissesten Sommertagen des Jahres ihre 90-jährige Nachbarin draussen traf. Diese sass bei über 40 Grad im Schatten, den es nicht gab, auf einer Parkbank und litt. Ins Haus wollte sie sich nicht begleiten lassen. Thomas suchte das Gespräch mit ihr, versorgte sie mit Wasser und erfuhr von verlorenen Gegenständen, ihrer Demenzerkrankung und ihrem Leiden an der Hitze – immer wieder unterstrich die Nachbarin dabei, dass sie all dies verdient hätte und Gott sie hassen müsste. Irgendwann liess sie sich mithilfe ihres herbeigerufenen Sohnes nach Hause begleiten.
An dieser Stelle hätte Christy Thomas wieder zur Tagesordnung übergehen können, doch so dankbar sie war, dass sie der alten Nachbarin helfen konnte, so traurig machte sie deren schlechte Theologie. Irgendwo tief im Gehirn dieser netten Frau war die Vorstellung fest verankert, dass Gott wütend auf Menschen wie sie war und sie deshalb leiden liess. Und solches Denken ist nicht auf Demenzkranke beschränkt! Es bestimmt das Dasein vieler Christen und manche projizieren ihre Gedanken eines strafenden Gottes noch auf Kranke in ihrer Umgebung. Sollten sie oder ihre Angehörigen etwas falsch gemacht haben? Könnte Gott zornig auf sie sein? Solch ein theologisches Narrativ vergiftet Menschenleben – es ist höchst gefährlich.
Raus aus dem Stall
Sollte Theologie tatsächlich Auswirkungen auf die geistige Gesundheit von Menschen haben? Es kann gar nicht anders sein! Denn die sogenannte «Lehre von Gott» bedeutet ja nicht, ihn unters Mikroskop zu legen und fachlich zu analysieren. Neben aller sinnvollen (!) wissenschaftlichen Auseinandersetzung beziehen sich Menschen in ihrer Theologie immer wieder auf diesen Gott, den sie erkennen. Wer einen jähzornigen Despoten vor sich sieht, wird kaum Frieden bei ihm finden. Andere Sichtweisen können Gott ähnlich einschränken. Wer ihn – typisch für die aktuelle Jahreszeit – auf das immerwährende «Kind in der Krippe» festlegt, wird kaum jemals den starken Gott finden, der aus Bedrängnis und Not heraushilft. In dem Masse, wie Menschen ein vollständigeres und lebendigeres Bild vom Gott der Bibel bekommen, kann ihr Herz heil werden, weil ihre Theologie «gut» geworden ist.
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