Umgang mit gefallenen Leitern
Es ist nur realistisch, sich bewusst zu machen, dass christliche Führungskräfte die gesamte Palette des Versagens genauso bedienen können wie ihre nicht so christlichen Kolleginnen und Kollegen. Dabei geht es nicht darum, Namen zu nennen, aber ohne langes Nachdenken fallen einem Vergehen wie Steuerhinterziehung, Volksverhetzung, sexueller Missbrauch und ähnliches ein – manchmal einfach nur Fehlverhalten, oft jedoch auch strafbare Handlungen.
Wenn so etwas öffentlich wird, hält man unwillkürlich die Luft an. «Das hätte ich nicht gedacht», geht es einem durch den Kopf. «Ausgerechnet dieser Mann, von dem ich so viel gelernt habe – ausgerechnet diese Frau, durch die ich zum Glauben gekommen bin.» Von dieser Situation ausgehend beschreibt Arianna Walker für die britische Website «Premier Christianity» sechs mögliche Reaktionen auf solch ein enttäuschendes Fehlverhalten.
Hilfreiche Reaktionen
Walker betont zunächst: «Ihre Beziehung zu Gott wird durch das Versagen derer, die Sie zu ihm geführt haben, nicht ungültig.» Danach stellt sie sechs Reaktionen vor, die einem bei der Verarbeitung solch einer Situation helfen sollen.
1. Die eigenen Gefühle akzeptieren
Es ist ein erster Schritt, anzuerkennen, dass man Wut, Trauer und Enttäuschung empfindet. Und es ist legitim, diese Gefühle zuzulassen und dann darüber nachzudenken, welche Auswirkungen das Ganze aufs eigene Leben hat.
2. Über diese Empfindungen sprechen
Wenn man den Eindruck hat, dass man zu schwer am Geschehenen trägt, um es allein oder allein mit Gott zu bewältigen, kann es hilfreich sein, das Gespräch mit Freunden, der Familie oder einer Mentorin bzw. einem Mentor zu suchen. Der Austausch kann zur Klärung beitragen.
3. Vergebung aussprechen
Nach den ersten Schritten folgt «die Reise der Vergebung». Damit ist kein Gefühl gemeint, sondern die Entscheidung, einen Prozess zu durchlaufen, der einem hilft, den Schmerz abzubauen, den die andere Person verursacht hat.
4. Für die Betroffenen beten
Oft wurden Leben, Karrieren, Familien und Gemeinschaften durch ein Fehlverhalten geschädigt. Hier ist Gebet gefragt, um diejenigen zu stärken, die am deutlichsten davon betroffen sind. Sie brauchen Gnade, Heilung, Kraft, Mut und göttlichen Frieden, der alles Verständnis übersteigt.
5. Professionelle Hilfe suchen
Niemand muss allein durch solch eine Krise gehen. Es gibt professionelle Seelsorgeangebote und Beratungsstellen, die einem beim Verarbeiten helfen.
6. Der eigene Glaube bleibt gültig
Die eigene Beziehung zu Gott wird nicht durch die Fehler anderer beeinträchtigt, egal wie viel man in der Vergangenheit von ihnen profitiert hat.
Wichtige Ergänzungen
Walker unterstreicht in einem kurzen Nachsatz noch, dass es «keine Entschuldigung für Missbrauch jeglicher Art in unseren Kirchen» gibt, allerdings bleiben ihre Tipps sämtlich bei den Opfern oder denjenigen, die das Problem wahrnehmen. Keiner der oben genannten Punkte ist falsch, allerdings sind sie in ihrer Gesamtheit unvollständig. Unterschwellig wird hier ein hierarchisches Denken vermittelt, wie es im Mittelalter weit verbreitet war: «Kümmere du dich um deine Angelegenheiten. Dein König/Priester – heute: Leiter – ist Gott selbst verantwortlich. Der wird sich darum kümmern.»
Daran hat sich glücklicherweise einiges geändert. So kommen zu den obigen Punkten noch weitere hinzu:
7. Leitungspersonen abwählen
Es geht nicht darum, Menschen nach Fehlern «abzuschiessen», aber manche Tat zeigt, dass Personen für ihre Aufgabe nicht geeignet oder darin nicht mehr tragbar sind. Dann sollten sie gehen.
8. Führungskräfte mit ihrem Fehlverhalten konfrontieren
Vergebung ist das eine, dazu gehört allerdings auch, Leiterinnen und Leitern die Folgen ihres Verhaltens vor Augen zu führen. Das klingt schwierig und ist es auch, aber die Bibel spricht an einigen Stellen davon: «Wenn aber dein Bruder an dir gesündigt hat, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.» (Matthäus, Kapitel 18, Vers 15)
9. Verantwortung fürs Handeln übernehmen
So wie Betroffene und andere Christen ins Nachdenken und Handeln kommen, so sollten auch die Verantwortlichen ihren Part erkennen und – soweit das möglich ist – Schuld in Ordnung bringen.
Die Liste liesse sich noch weiter verlängern, aber der Fokus ist klar: Alle Beteiligten können und sollen an sich selbst und ihrer Haltung arbeiten. Darüber hinaus tragen diejenigen, die Schuld auf sich geladen haben, eine besondere Verantwortung. Und gemeinsam gilt es, daran zu arbeiten, dass leiterisches Fehlverhalten, das andere Menschen schädigt, nicht zum Normalzustand wird. «Er ist halt so…» und «Er hat auch gute Seiten…» kann man über jemanden sagen, der jedes Bild geradehängen muss, wenn er in einen Raum kommt, aber nicht über jemanden, der andere missbraucht.
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Datum: 22.10.2023
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet