Pastorinnen erobern freikirchliche Kanzeln
Bibelstellen wie «Die Frau schweige in der Gemeinde» (1. Korintherbrief Kapitel 14, Vers 34f.) haben lange vieles verhindert. Am 27. Oktober 1918 waren in der Kirche St. Peter in Zürich Rosa Gutknecht und Elise Pfister durch den Zürcher Kirchenrat «zum geistlichen Amt» ordiniert worden. Noch nie zuvor hatte eine Landeskirche in Europa Frauen zum Pfarrdienst zugelassen. Angestellt wurden Rosa Gutknecht und Elise Pfister in Zürich aber für weniger Lohn und nur als Pfarrhelferinnen. Die Theologinnen konnten nicht automatisch wie die Männer auf ordentliche Pfarrstellen gewählt werden, sondern mussten bis zur Gleichstellung auf gemeindeeigenen Pfarrstellen amten.
Seither sind bei den Schweizer Reformierten Frauen im Pfarramt präsent. Allerdings wurden sie erst in den 1960er-Jahren durch kantonale oder kirchliche Volksabstimmungen mit den Pfarrern gleichgestellt. In der römisch-katholischen Kirche ist jedes geweihte Amt seit 1024 auf Männer beschränkt. Der Versuch einer Frauenordination führt zu einer automatischen Exkommunikation. Die Zulassung der Frauen zum gesamten sakramentalen Amt will aktuell der synodale Weg ändern.
Freikirchliche Pastorinnen seit 1761
Bei den Freikirchen geht die Förderung der Frauen weiter zurück: «Eigentlich war es die evangelikale Bewegung, in der erstmals im Protestantismus Frauen zu Wort und auf die Kanzel kamen», erklärt Prof. Dr. Thorsten Dietz in seinem Buch «Menschen mit Mission – eine Landkarte der evangelikalen Welt» (2022). Ein Vorreiter war die Herrnhuter Brüdergemeinde, der von Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf gegründeten internationalen Kirche in Deutschland: Diese hat schon im 18. Jahrhundert Priesterinnen, Presbyterinnen und Diakoninnen ordiniert. Auch in den meisten methodistischen Kirchen können Frauen jedes Amt übernehmen. John Wesley gewährte 1761 als Gründer der methodistischen Bewegung Sarah Crosby als ersten Frau die Lizenz zum Predigen. Die Heilsarmee hat seit ihren Anfängen Männern und Frauen den gleichen Platz eingeräumt. Dies ist unter anderem dem methodistischen Erbe und dem Engagement von Catherine Booth zu verdanken. Sie schrieb ein Buch, in dem sie die Position der Heilsarmee verteidigte. Ihr Predigtdebüt gab sie im Januar 1860. Seither haben Frauen das Recht zu predigen und konnten von Anfang an auch Verantwortung für Gemeinden oder Institutionen tragen. Evangeline Booth war die erste weibliche Generalin (1934-1939) der Heilsarmee. Heute sind in der Schweiz mehrere junge Offizierinnen als Pastorin verantwortlich.
Ein weiteres Beispiel der Ordination von Frauen in Schweizer Freikirchen ist die BewegungPlus: An der Leiterkonferenz 2002 wurde beschlossen, dass der Leiterschaftsdienst in den Gemeinden fortan auch den Frauen offensteht. Es ist nicht eine Frage, ob Mann oder Frau, sondern eine Frage der Berufung, Begabung und der Führung durch den Heiligen Geist. «Seit ich Teil der BewegungPlus bin, erlebe ich eine durch und durch offene und wertschätzende Haltung mir als Frau gegenüber. Ich kann als Pastorin und Leiterin meine Gaben einbringen, meine Berufung leben und werde in meinem Dienst und den damit verbundenen Verantwortungen sowohl geschätzt wie auch unterstützt. Ich erlebe das Miteinander von Mann und Frau in unserer Bewegung lebendig, wohlwollend und freisetzend – und dies gegenseitig», erklärt Nadja Thalmann, Pastorin der BewegungPlus Winterthur und Mitglied im nationalen Vorstand. Aktuell haben die Frauen in der BewegungPlus bei den Kandidierenden für den Dienst als Pastorin oder Pastor einen Anteil von 40 Prozent (Gesamtanteil 20 Prozent).
«Yes, she can!»
Bei der Chrischona (heute Viva Kirche) hat der aktuelle Präsident Christian Haslebacher 2016 mit seiner Masterarbeit und dem Buch «Yes, she can!» den Weg geebnet, dass Frauen sämtliche Aufgaben innerhalb der Kirche offenstehen. Bei der der Schweizerischen Pfingstmission (SPM) sagten vor zwei Jahren 92 Prozent der Teilnehmenden an der Generalversammlung Ja zur Frauenordination. Insgesamt erlauben beim Dachverband Freikirchen.ch heute über die Hälfte der 20 Mitgliedkirchen die Frauenordination. Schon länger Pfarrerinnen im Amt hat das Evangelische Gemeinschaftswerk (EGW). So erklärt Tabea Inäbnit: «Seit bald fünf Jahren bin ich Pfarrerin im EGW. Bei meiner Anstellung war mein Frau-sein gar kein Thema, sondern meine Fähigkeiten, Begabungen und Erfahrungen gaben den Ausschlag dazu, dass ich dieses Einzelpfarramt übernehmen durfte. Vom Verband und meiner Gemeinde erhalte ich viel Wertschätzung und Unterstützung und ich darf meine Berufung als Pfarrerin in allen Facetten und ohne jegliche Einschränkungen ausleben.»
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Datum: 27.09.2023
Autor:
Markus Baumgartner
Quelle:
Dachverband Freikirchen.ch