Ein Immobilienmakler rettet Kirchen
«In den Niederlanden werden viele Kirchen geschlossen. Viele Menschen sind zwar weiterhin gläubig, aber sie gehen nicht mehr in die Kirche», sagt Wim Annen. «Die Folge: Die Gemeinden haben kein Geld mehr, um die Gebäude zu erhalten.» Der 74-jährige Immobilienhändler aus Hoogeveen in der niederländischen Provinz Drenthe raucht an seiner Zigarre und zeigt auf eines seiner «Schätze»: In Pesse, nur rund sieben Kilometer von seinem Wohnort entfernt, hat er eine Kirche gekauft, die an einer wunderschönen alten Allee am Dorfrand steht. Das Gebäude ist über 120 Jahre alt, wird aber nicht mehr genutzt. Das heisst: bis jetzt.
Aus vielen alten Kirchen werden ganz kirchenfremde Dinge gemacht, sagt Annen. «Meine Idee ist dann: Vielleicht können wir die Kirche ja retten! Kirchen wurden errichtet, damit Menschen darin beten und Gott loben», sagt der Christ. «Ich kaufe die Kirche, oder ich gebe der Gemeinde Ratschläge, wie man sie kaufen kann.»
Die Kirche sei fast immer auch das Zentrum eines Ortes, sagt Annen, daher habe meistens auch die Dorfgemeinde ein Interesse daran, die Kirche als Kirche zu retten. «Wenn beispielsweise jede Familie des Ortes 100 Euro im Jahr zahlt, kommt genug Geld zusammen.» Wenn Annen die Kirche kauft, vermietet er sie anschliessend an die Gemeinde. Wichtig ist ihm dabei allein, dass das Gebäude anschliessend der Verherrlichung Gottes dient und nicht etwa kommerziellen Zwecken. Schon vier Kirchen in den Niederlanden hat Annen gekauft, weitere sollen folgen.
Rückkauf im Vertrag abgesichert
«Wenn wir uns mit den Gemeindeleitern zusammensetzen und Ideen ausarbeiten, was man mit der Kirche anstellen könnte, tauchen plötzlich sehr viele Ideen auf. Mir allein kommen jedes Mal Hunderte Ideen. Wichtig bleibt nur: Vergesst nicht, dass es eine Kirche ist!» Gottesdienste, Vorträge, ein Gemeinde-Café, Sing-Treffen… Und jederzeit bestehe die Möglichkeit, die Kirche von Annen wieder zurückzukaufen. «Das schreibe ich so auch in den Vertrag!», sagt der Immobilienexperte, für den Häuser so eine Art Leidenschaft sind, seit er ein Teenager war. «Es geht mir nicht darum, möglichst viele Kirchen zu besitzen.» Der Niederländer gründete vor kurzem eine Stiftung, mit der noch andere Menschen seine Idee umsetzen können. Ihr Name ist «Pax Intrantibus», Lateinisch für «Friede den Eintretenden».
Mit 14 hatte Annen die Schule verlassen und mit seinem 15-jährigen Bruder eine Firma gegründet. Mit 18 hatte er sein erstes Haus gekauft. Er merkte, dass er ein Händchen für Immobilien hat und machte es zu seiner Profession. «Ich liebe einfach, was ich tue.» Heute hat der 74-jährige Vater von drei Kindern Mitarbeiter, die ihm viel abnehmen.
«Wenn man Geld gibt, wird man nicht ärmer, sondern reicher»
Für ihn bedeute der Glaube wortwörtlich alles im Leben. «Ich bin zwar ein erfolgreicher Geschäftsmann, aber ich bekomme doch letztendlich alles von Gott. Meine Gesundheit, meinen Wohlstand, alles. Und daher möchte ich etwas zurückgeben. Warum sollte ich auf meinem Geld sitzen? Wenn man Geld gibt, wird man nicht ärmer, sondern reicher.»
Ihn störe dabei, dass so viele Christen so sehr über ihren Glauben streiten, anstatt ihn einfach gemeinsam zu leben. «Wir sollten als Gläubige viel mehr miteinander reden, anstatt uns voneinander abzugrenzen.» Seine Kirchen sollen daher Orte der Begegnung und des miteinander Redens sein, betont Annen. «Das ist doch die Ur-Aufgabe eines Christen, gemeinsam Gott zu verehren! Und nicht, theologisch Recht zu haben.»
Der Preis für Kirchen falle unterschiedlich aus, sagt der Experte. Manche seien für einen Euro zu haben – dann seien sie aber auch in einem entsprechend schlechten Zustand und müssten für viel Geld renoviert werden. Andere kosten 300'000 Euro. «Leider kosten die Gebäude jedes Jahr einen gewissen Betrag, um sie instandzuhalten.» Manchmal initiiert Annen sofort, dass die Stufen zum Eingang der Kirche mit einer Rampe versehen werden, damit auch wirklich jeder eingeladen ist, hineinzukommen, auch Rollstuhlfahrer. Auch ein Akt, die Schwelle zum Kircheneintritt im wahrsten Sinne des Wortes möglichst niedrig zu halten.
Menschen kommen wieder in die Kirche
Von der «Johannes de Doperkerk» in Meddo nahe Winterswijk schwärmt Annen: «Hier beten nun Katholiken und Protestanten gemeinsam nebeneinander. Wir herrlich ist das?» Erst als klar war, dass er die Kirche kaufe, waren die Leute ganz entspannt, berichtet er, und es kamen plötzlich viele neue Ideen auf. «Und auf einmal, nach 20 oder 30 Jahren, bekommen ganz viele Menschen wieder Lust, in die Kirche zu gehen.»
Eine ehemalige Baptistenkirche im Zentrum von Doetinchem kostete Annen 1,5 Millionen Euro. Ein wunderschönes hellgelbes Gebäude, auf dem noch die Worte «Predik hed Evangelie» («Predigt das Evangelium») in grossen Buchstaben prangen. Man habe dort schon eine Snooker-Halle oder ein Teppichzentrum errichten wollen, sagt Annen. «Ich finde, was wir jetzt daraus gemacht haben, ist viel schöner.»
Es fänden dort nun ein grosse Menge an Veranstaltungen statt, Meetings, Hochzeiten, christliche Events. In den Räumen neben dem eigentlichen Gottesdienstsaal ist eine Hilfsorganisation untergebracht. Die «Ontmoetingskerk» in Zuidwolde nahe Groningen wiederum kostete hingegen «nur» 150'000 Euro. Hier ist die Nutzung für die Arbeit von Menschen mit Behinderung geplant.
Annen engagiert sich in einer Hilfsorganisation namens «De Regenboog voor Gambia», die Hilfsgüter nach Gambia liefert und die er selbst gegründet hat. In der ehemaligen Kirche in Pesse haben Helfer derzeit einen Flohmarkt aufgebaut. Allerdings nur so lange, bis der Raum wieder für christliche Verkündigung genutzt werden kann. Menschen schenken Gegenstände, die verkauft werden, das Geld geht zu 100 Prozent an die Hilfe fürs westafrikanische Land. Annen musste 200'000 Euro für die Renovierung zahlen, neue Mauern, neue Farben, neue Fenster, im Eingangsbereich gibt es nun zwei Toiletten.
Noch viele Kirchen retten
Annens Kirchen-Rettung ist natürlich längst bekannt geworden. Viele Interviews musste er in den vergangenen Wochen geben, manchmal mehrere am Tag. Viele Gemeinden fragten ihn, ob er nicht auch ihre Kirche retten könne. Der Erwerb von mindestens sieben weiteren Kirchen plant Annen bereits. Gespräche gibt es bei sogar 20 Kirchen. Der Immobilienmakler möchte allerdings nicht verraten, wo diese stehen.
«Einmal habe ich noch während der Kauf-Verhandlungen einem Journalisten verraten, um welche Kirchen es geht. Es war eine katholische Kirche, und als der Bischof vom Kaufinteresse hörte, hat er gleich einmal den Kaufpreis um 40 Prozent angehoben! Eigentlich unfassbar, so etwas. Andere wollen mich zwingen, gleich ein ganzes Areal mit weiteren Gebäuden rund um die eigentliche Kirchen zu kaufen!»
Annen wünscht sich, dass sein Beispiel Schule macht und auch anderswo Menschen auf die Idee kommen, Kirchen auf diese Weise zu retten. «Ich diene Gott einfach mit dem, was ich am besten kann. Mit Immobilien handeln. Das ist mein Job.»
Dieser Artikel erschien zuerst auf PRO Medienmagazin
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Datum: 25.07.2023
Autor:
Jörn Schumacher
Quelle:
PRO Medienmagazin