Wenn ein Theologe Depressionen bekommt...
Im ersten Teil des Interviews berichtete er bereits, was er damals erlebte und empfand. Im zweiten Teil geht es um die Gründe und wie er wieder aus der Depression herausfand.
Was hat Ihre Depression
ausgelöst?
Im Rückblick stellte ich
fest, dass die Hauptursache für meine Depression mein überfüllter Terminkalender
war, der mir übermässigen Stress verursachte. Dann verletzte ich mir den Rücken
und hatte neun Monate lang starke Schmerzen, die zu einer Rückenoperation führten.
Danach erlitt ich erneut einen Bandscheibenvorfall an derselben Stelle und die
Schmerzen kehrten zurück. All dies zusammen löste bei mir die Depression aus.
Schlaf- sowie Bewegungsmangel, Stress und Diäten begünstigen eine Depression. Nach
dem Erscheinen des Buches rutschte ich in meinen «alten» Lebensstil. Als dann
meine Frau stürzte und sich das Bein brach, reagierte ich auf diese
traumatische Situation erneut mit einem Rückfall in eine schwere Depression.
Diese hartnäckige Dunkelheit dauerte zweieinhalb Jahre. Rückblickend ist mir klar,
dass mir meine Zeitplanung keinen Spielraum für Ruhe liess und ich körperlich
so an meine Grenzen kam, dass mein Nervensystem nicht mehr in der Lage war,
belastende Situationen richtig zu verarbeiten. Die Nebennieren versagten und
ich litt an «Hypoadrenie». Das tritt auf, wenn die Menge an Stress die
Fähigkeit des Körpers zur Kompensation und Erholung übersteigt, was häufig zu
Angst und Depressionen führt.
Gab es Warnsignale, die
geholfen hätten, die Depression zu vermeiden?
Ja, in meinem Fall hätte ich
wissen müssen, dass meine Arbeitsbelastung zu hoch war und das Stressniveau über
dem Durchschnitt lag. Zwei oder drei Jahre lang, vor der ersten Depression,
hatte ich keine Sabbatruhe gehalten. Wenn man fünf Jahre lang sieben Tage die
Woche arbeitet, wird man irgendwann gegen eine Wand laufen – bei mir in Form
einer Depression.
Auch wenn Sie nicht in vorsätzlicher
Sünde lebten, zeigte Gott Ihnen dennoch einiges in Ihrem Leben, das nicht gut
für Sie war. Was waren das für Dinge?
Darauf gehe ich im Buch ausführlich
ein, aber eines der Hauptthemen, mit denen ich mich während meiner Depression
auseinandersetzen musste, war, das «nächst Richtige» zu tun, auch wenn es das
Gegenteil von dem war, was ich gerade fühlte. Es war nicht gut, meine
Depression als Ausrede zu benutzen, um nicht in die Kirche zu gehen. Nur weil
ich das Gefühl hatte, kein Christ zu sein, bedeutete das nicht, dass ich
aufhören sollte, das Wort Gottes zu lesen, Gottesdienste zu besuchen oder zu
versuchen, meine Frau zu lieben. Ich musste lernen, nach dem Glauben und nicht
nach den Gefühlen zu handeln. Auch dass mein Körper Ruhe braucht und Gott am
siebten Tag den Sabbat zu einem bestimmten Zweck verordnet hat.
«Um neue Hoffnung zu
gewinnen, muss man sich selbst jeden Tag das Evangelium verkünden», schreiben
Sie in Ihrem Buch. Was genau meinen Sie damit?
Auch hier ist es schwierig,
in der Kürze eines Interviews darauf einzugehen. Doch die einfache Wahrheit
ist, dass wir unwürdig sind. Wir sind Sünder und haben keine Barmherzigkeit
verdient, sondern das Gericht. Aber – Gott ist gnädig, er ist unerschütterlich
in seiner Liebe und hat durch seinen Sohn für Sühne und Erlösung gesorgt. Er
vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit, wenn wir unsere Sünde bekennen.
Die Erlösung kommt alleine von Gott, ich kann dem nichts hinzufügen. Er hat
mich aus Gnade durch den Glauben gerettet und nichts kann mich aus seiner Hand
reissen. In alle Ewigkeit bin ich Sein! Wir müssen uns diese Botschaft
predigen und jeden Tag im Licht seiner Gnade und Barmherzigkeit leben.
Sie betonen, wie wichtig es
ist, sich nicht von den Emotionen leiten zu lassen, sondern weiter zu beten,
die Bibel zu lesen und zur Kirche zu gehen... Warum?
Lassen Sie es mich so
veranschaulichen: Es ist ein sehr kalter Tag und jemand gibt Ihnen eine sehr
heisse Tasse Kaffee. Ohne zu merken, wie heiss der Kaffee ist, nehmen Sie einen
grossen Schluck, worauf Sie sich die Geschmacksknospen und die Zunge verbrennen.
Obwohl Ihre Zunge wund ist und das Essen schmerzt, essen Sie weiter, weil Sie
wissen, dass Sie sich ernähren müssen. So wie das Essen notwendig ist, um
unseren Körper zu erhalten, sind auch die geistlichen Übungen für unsere Seele
in der Beziehung zu Gott wichtig und dürfen nicht vernachlässigt werden. Auch
dann nicht, wenn keine normalen Gefühle damit verbunden sind und man keine
Lust hat, sie durchzuführen.
Wie lange litten Sie an
Depressionen und was hat Ihnen geholfen,
diese endlich hinter sich zu lassen?
Die erste Phase dauerte etwa
neun Monate, die zweite ungefähr zwei Jahre. Wenn Sie durch so eine Zeit gehen,
müssen Sie Ihr Herz vollständig auf geistliche Bereiche untersuchen, die zu
der Depression beitragen können, und dann müssen Sie den nächsten richtigen
geistlichen Schritt tun, jeden Moment und einen Tag nach dem anderen, bis sich die Wolke hebt. Lassen Sie eine vollständige körperliche
Untersuchung durchführen, um nach Schilddrüsenproblemen oder einem hormonellen Ungleichgewicht zu suchen. Berücksichtigen
Sie unter anderem auch die Fragen der Ernährung, einer Diät, der Bewegung,
des Schlafverhaltens, des Stressniveaus und anderer körperlicher Probleme. Arbeiten Sie an diesen Problemen, indem Sie,
geistlich gesehen, das Richtige tun. Und geben Sie sich dann damit zufrieden, mit den Gefühlen zu leben, die Gott zulässt.
Sie haben in dem Buch auch
über Ihre Erfahrungen geschrieben: «Gottes
Gnade wächst am besten im Winter.»
Können Sie dieses Zitat erklären?
Wenn alles gut läuft, neigen
wir dazu, uns selber die Ehre zu geben. Aber wenn das ganze Leben auf dem Kopf steht,
schreien wir zu Gott und stellen fest, dass seine unerschütterliche Liebe und
Treue in der dunkelsten aller Zeiten für uns da ist und uns zu ihm hinzieht.
Hier geht es zum ersten Teil des Interviews aus dem Ethos Magazin.
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Datum: 21.12.2020
Autor: ethos / Übersetzung: Sylvia Fend / gekürzt von Livenet
Quelle: ethos Magazin