«Wer mitreden will, sollte die Bibel kennen»
Welches Publikum möchten Sie mit Ihren «Bibel to go»-Videos erreichen?
Michael
Sommer: Bei meinen «Weltliteratur to go»-Videos sind es normalerweise
Schüler und Studenten, die den Kern des Publikums ausmachen, weil sie
eine kurze Übersicht über die Werke für Schule und Uni benötigen. Bei «Bibel to go» hoffe ich auf ein breiteres Publikum, das entweder keine
Ahnung von der Bibel hat und auf diese Weise vielleicht neugierig darauf
wird, oder Bibelfans, die Lust auf eine unterhaltsame Umsetzung ihres
Lieblingsbuches haben.
Warum
ist es aus Ihrer Sicht wichtig, für das nächste Date, die Schule oder
fürs Geschäft einen Überblick über die Bibel abrufbar zu haben?
Die
Bibel ist das mit Abstand wichtigste Buch unserer Kultur, wenn man sich
seinen Einfluss quer durch die Kulturgeschichte anschaut. Unabhängig
von der Religion gehört es wirklich zur Bildung, die entscheidenden
Player der hier versammelten Geschichten und deren Aussagen zu kennen.
Ich bin als Kind sehr christlich erzogen worden und hatte beispielsweise
durch Gottesdienstbesuche einen echten Wissensvorsprung – aber wie
viele Leute gehen heute noch zur Kirche? Und ich spreche noch nicht mal
über die, die tatsächlich die Bibel lesen. Um es mal etwas platter
auszudrücken: Wer im Bereich Film mitreden will, sollte «Metropolis» gesehen haben. Wer im Bereich Literatur, bildende Kunst, Architektur und
so weiter mitreden will, sollte die zentralen Stellen der Bibel kennen.
Das
erste Video der Reihe ist durchaus auch provokant in seinen filmischen
Aussagen. Etwa, wenn Sie Gott als tätowierten Hippie auftreten lassen
und dabei die Frage nach dem Geschlecht mit einem Augenzwinkern umgehen.
Was entgegnen Sie Kritikern, die sich an Ihrer Umsetzung des Stoffes
stossen?
Grundsätzlich bemühe ich
mich um zwei Dinge: sachliche Richtigkeit und hohe Unterhaltsamkeit.
Letzteres, damit die Leute sich überhaupt die Mühe machen, zuzuhören,
denn dass sich jemand heutzutage mit der Bibel beschäftigt, ist alles
andere als selbstverständlich. Gott
entzieht sich Geschlechterkategorien, das wird weder eine Theologin
noch ein sehr gläubiger Mensch bestreiten. Dennoch wird Gott in der
traditionellen Ikonographie als weisser alter Mann mit Bart dargestellt.
Davon jedoch steht nichts in der Bibel. Ich mache also mit dieser
unkonventionellen Darstellung auf ein Problem des Gender in Kultur und
Religion aufmerksam. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie auch
entdecken, dass Gott bei mir weibliche Brüste hat.
Ausserdem zum Einsatz von Übertreibungen und platten Witzen: Es sei fern von mir, jemandes religiöse Gefühle zu verletzen. Aber ich neige zu der Ansicht, dass Themen, über die nicht gelacht werden darf, zu fundamentalistisch aufgefasst werden. Denken Sie an die Mohammed-Karikaturen. Es gibt Grenzen des Humors, zum Beispiel, wenn es um Gewaltverbrechen und Opferschutz geht, aber das ist bei biblischen Geschichten wohl selten der Fall.
Haben Sie die Bibel schon einmal ganz gelesen?
Ich
lese die Bibel gerade zum ersten Mal ganz. Im Alten Testament sind es
die lyrischen Stellen wie viele der Psalmen, die für mich eine grosse
persönliche Bedeutung haben. Diese wuchtige Schönheit der Sprache, das
unverstellte Gefühl von Wahrhaftigkeit und Wahrheit ist in modernerer
Literatur sehr selten. Im Neuen Testament sind es solche Klassiker wie
die Bergpredigt oder das Hohelied der Liebe, die sich seit frühester
Jugend tief in meine kulturelle Identität eingegraben haben. An diesen
Sätzen kommt man nicht vorbei, das kann man nicht ignorieren.
Was bedeutet Ihnen die biblische Überlieferung persönlich?
Die
Beschäftigung mit diesem Buch ist eine für mich ausgesprochen spannende
Selbstbildungsaufgabe, und das meine ich nicht im Hinblick auf etwaiges «verwertbares Wissen». Einerseits besitzt die Bibel als «Heilige
Schrift», als Gründungsdokument des Christentums, eine ganz hohe
Verbindlichkeit und einen grossen Bedeutungsanspruch. Andererseits stelle
ich beim Tiefflug über das Werk fest, dass es sich um teilweise extrem
grausame, irrationale Geschichten oder irrelevante Passagen handelt –
die sich mit Geschichten abwechseln, die mir viel bedeuten. Wie kann das
alles bedeutsam sein? Wie soll man damit umgehen? Ich habe darauf noch
keine Antwort, aber ich vermute, je länger und intensiver ich daran
arbeite, desto eher werde ich ein «entspannteres» Verhältnis zu diesem
Buch entwickeln. Das ist ein bisschen so wie Shakespeare: Ich habe vor
zehn Jahren «Hamlet» neu ins Deutsche übersetzt. Bei vielen Passagen
weiss ich immer noch nicht, was sie eigentlich «bedeuten», aber wir
kennen uns jetzt viel besser und gehen selbstverständlicher miteinander
um.
Sie sprechen von irrelevanten Passagen der Bibel. Was wäre eine solche beispielsweise für Sie?
Es
gibt zum Beispiel im dritten und vierten Buch Mose seiten- und
kapitellange Aufzählungen von Vorschriften darüber, wie ein bestimmtes
Opfer auszuführen ist oder welche Farbe die Knopflöcher an den
Priestergewändern haben sollen. Das sind Detailfragen, die zur
Entstehungszeit offenbar sehr wichtig waren, aber heute weder eine
religiöse noch eine persönliche Bedeutung haben können.
Wie ist es eigentlich zu der Zusammenarbeit mit evangelisch.de gekommen?
«Die
Bibel to go» ist zunächst meine eigene Initiative. Der Kontakt zu
evanglisch.de entstand bei der Verleihung des Grimme-Online-Awards 2018.
Lustigerweise fragte mich der Moderator damals auf der Bühne, was es
für Projekte in der Zukunft gebe – ich antwortete: «Die Bibel».
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Datum: 05.11.2020
Autor: Norbert Schäfer
Quelle: PRO Medienmagazin