Warum Theologen den ersten Teil der Bibel kaum verwenden
Das christliche US-Unternehmen Faithlife gibt die Bibelsoftware «Logos» heraus. Diese ist in erster Linie für Studienzwecke gedacht und enthält deshalb eine umfangreiche theologische Bibliothek. In einer grossangelegten Untersuchung nahm das Unternehmen die dort verwendeten Bibelstellen unter die Lupe und stellte die 100 hauptsächlich verwendeten Verse vor. Fast alle entstammen dem Neuen Testament.
Die meistverwendeten Bibelstellen
Es überrascht kaum, dass die Paulusbriefe, das Johannes- und das Matthäusevangelium sowie der Hebräerbrief ganz oben auf der Hitliste der zitierten Bücher stehen. Enthalten sie doch viele Aussagen, die gern und oft in der Systematischen Theologie gebraucht werden. Der Jakobusbrief oder die beiden Chronik-Bücher und Esra kommen dagegen fast gar nicht vor. Die einzigen Bücher des Alten Testaments, die den Sprung in die Top 100 der zitierten Verse geschafft haben, sind das erste Buch Mose (acht Verweise) und Jesaja (ein Verweis). Aus manchen neutestamentlichen Büchern wird dagegen fast jeder einzelne Vers in theologischen Werken zitiert – zum Beispiel aus dem Römer- und dem ersten Korintherbrief. Die häufigsten drei Verse sind übrigens
- Matthäus, Kapitel 28, Vers 19 (Der Missionsbefehl wird 1527-mal zitiert),
- Johannes Kapitel 3, Vers 16 (Das Evangelium in Kurzform wird 1514-mal zitiert),
- Johannes, Kapitel 1, Vers 14 (Der Vers über die Menschwerdung von Jesus wird 1253-mal zitiert).
Die Ursache für das Missverhältnis
Etliche Bereiche innerhalb der hauptsächlich untersuchten Systematischen Theologie kommen praktisch nur im Neuen Testament vor: Christologie, die Lehre vom Heiligen Geist oder von der Gemeinde finden im Alten Testament kaum oder keinen Niederschlag. Dass aber die Lehre von Gott selbst oder auch die Anthropologie praktisch gar nicht mit dem Alten Testament belegt wird, überrascht schon etwas. Immerhin wurden für die Studie 830'000 Bibelzitate aus 300 Werken der Systematischen Theologie ausgewertet.
Faithlife selbst erklärt das Missverhältnis nicht, gibt aber eine Empfehlung für künftige Autoren theologischer Literatur: «Wenn Sie eine Systematische Theologie verfassen wollen, können Sie es so tun: Beginnen Sie mit Paulus. Und vergessen Sie nicht, die meistzitierten Bibelstellen zu jedem Thema zu verwenden. Und natürlich Johannes Kapitel 3, Vers 16. Diesen Vers können Sie beruhigt in fast jedem Zusammenhang verwenden.» Mit dieser – hoffentlich ironisch gemeinten – Aufforderung, voneinander abzuschreiben, liefert die Studie doch noch eine Art Erklärung, warum es die immer gleichen Bibelstellen sind, die verwendet werden.
Stimmen zur Studie
Das amerikanische Magazin «Christianity Today» bat mehrere Theologen um ihre Bewertung, ob eine solch starke Vorliebe für neutestamentliche Schlüsselverse ein Problem für die Systematische Theologie wären.
Kevin Vanhoozer freute sich über die «Pole Position» des Missionsbefehls mit seinem klaren Bezug zur Dreieinigkeit. Er wunderte sich allerdings, dass 2. Mose, Kapitel 34, Verse 6-7 es nicht in die Top 100 geschafft hat, weil dies die innerhalb der Bibel meistzitierten Verse seien.
Craig Keener fand das fast völlige Fehlen alttestamentlicher Bibelverse «schockierend, weil das Alte Testament zwei Drittel der christlichen Bibel ausmacht». Als Ursache des Problems nannte er unter anderem, dass die Systematische Theologie traditionell hauptsächlich neutestamentliche Themen abdecke, obwohl viele andere Bereiche ähnlich wichtig wären wie Beziehungen, wirtschaftliche Gerechtigkeit oder Mission. Michael Allen fasste seine Kritik schliesslich so zusammen: «Jesus verkündete das Evangelium mithilfe seiner Wurzeln in der Ewigkeit und in Gottes Bund mit Israel. Deshalb können wir ohne eine gesamtbiblische Herangehensweise gar nicht Christus-zentriert sein.»
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Das Alte Testament
Datum: 26.06.2017
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Christianity Today