Gottesdienste - abschaffen oder ändern?
Vor Kurzem veröffentlichte die Hildesheimer Pfarrerin Hanna Jacobs einen Artikel in der ZEIT: «Schafft den Gottesdienst ab!» Der Münchner Pfarrer Steve Kennedy Henkel widersprach ihr auf Instagram, was das Sonntagsblatt zusammenfasst mit: «Fit machen statt sterben lassen». Die beiden stehen in ihrer Auseinandersetzung für die verschiedenen Ansätze und Ideen, die es gibt und geben muss, um Kirchen und Gemeinden zukunftsfähig zu machen. Welche Argumente vertreten die beiden dabei?
Ein unzeitgemässes Ritual
Hanna Jacobs (35) beschreibt in ihrem Artikel die Erfahrung vieler Gottesdienstbesucher, dass die Wenigen, die sich sonntags auf den Weg machen, meist relativ alt sind. Man muss kein Rechenkünstler sein, um festzustellen, dass viele davon in zehn Jahren nicht mehr dort sitzen werden. Ihr Plädoyer: nicht einfach weitermachen, sondern lieber einen beherzten Schlussstrich ziehen. Mit einem Blick in die Geschichte hält Jacobs fest: «Die Vorstellung, dass eine Gemeinschaft sich darüber konstituiert, dass alle, die dazugehören, zur selben Zeit am selben Ort sein müssen, entspringt auch dem vormodernen Denken.» Für ein bis zwei Prozent der Kirchenmitglieder sei der Gottesdienst noch eine schöne Tradition, doch wenn diese Wenigen die Richtung der Kirche damit bestimmten, «nennt man das Oligarchie».
Jacobs singt allerdings keineswegs mit im Abgesang auf die Kirche insgesamt. Sie wünscht sich Erneuerung, sieht diese allerdings nicht im Gottesdienstformat, das Personal und Geld unnötig binde. Sie fragt stattdessen: «Wo erleben Menschen heute, dass Gott ihnen dient? Was richtet auf, sodass man aufrechter wieder nach Hause geht, als man gekommen ist?» Möglichkeiten sieht sie in der Verknüpfung zu Beruf und Arbeit, zum Engagement für Bedürftige und dem Einsatz für die Schöpfung. Gleichzeitig mache die Abkehr vom klassischen Gottesdienst den Blick frei für neue Ideen, die andere Zielgruppen erreichten: von der biblischen Weinprobe bis zum Worship-Abend oder zum Schlager-Gottesdienst. «Nur dann, wenn man sich auf einen besonderen und besonders sorgfältig vorbereiteten Gottesdienst freut, wird man vielleicht tatsächlich mal die interessierte Nachbarin mitnehmen – und die Kirchen würden wieder etwas voller.»
«Save Sunday!»
Steve Kennedy Henkel (35) ist bei Instagram als rev.stev unterwegs, drückt Hanna Jacobs dort zunächst seine Wertschätzung aus und ergänzt dann: «Ich habe mir erlaubt, eine Gegenmeinung zu vertreten.» Die beschriebenen Nachteile und «Krankheiten» des klassischen Gottesdienstes sieht er ähnlich, doch sein Ansatz ist, «anstatt ihn sterben zu lassen, sollte man ihn wieder fit machen». Henkel sieht den Weg dazu in einer gesünderen Lebensweise. So wie man das persönliche Leben umstelle, wenn man problematische Gewohnheiten darin sehe, solle man das auch als Kirche und Gemeinde tun: Nötig sei das Entschlacken und Konzentrieren auf die Kernaufgaben – Stichwort: Verkündigung und Seelsorge statt Verwaltung. Er fordert einen Ausstieg aus der Selbstzufriedenheit mit 80er-Jahre-Gitarrenmusik und Arbeit, um zum Puls der Lebenswirklichkeit zurückzukommen. Um wieder «Gottesdienst für alle» zu sein, müssten kirchliche Angebote populärer werden. «Wer mit den Menschen nicht den Blick auf ihr Jetzt teilt, der kann auch nicht mit ihnen zusammen in Richtung Ewigkeit schauen.»
Ein Sterben der Gottesdienste ist für Henkel keine Lösung, denn «egal was stattdessen kommen soll, es wird am gleichen ungesunden Lebensstil der Kirche kranken». Hier sieht er den eigentlichen Handlungsbedarf. So ist sein Fazit: «Lasst uns in einer fragmentierten Gesellschaft daran festhalten, zusammen am ersten Tag der Woche eine Auferstehung zu feiern. Die von Jesus – und deine und meine.»
Zum Thema:
Pater Sandesh Manuel: Unkonventionell und spirituell
Mar Chimon Daniel: Ein Bischof kämpft für die Jugend des Landes
Neues Album der O'Bros: Die «Rapostel» Gottes melden sich zurück
Datum: 22.05.2024
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet