«Christen in Ägypten leben mit riesiger Freiheit»
Immer wieder hört man von Angriffen gegen die Christen Ägyptens. Koptische Christen werden gekidnappt, getötet, christliche Kirchen und Buchläden abgebrannt, und die Verfolgung gegenüber Christen scheint kein Ende zu nehmen. Völlig anders sieht das aber Ramez Atallah, Leiter der ägyptischen Bibelgesellschaft. In einem Interview mit Protestante Digital vom Mai dieses Jahres, das aber erst in diesen Tagen veröffentlicht wurde, erklärte Atallah, dass dies eine falsche Auffassung der westlichen Gesellschaften sei. Er sprach vielmehr von «riesiger Freiheit» der Christen Ägyptens.
Mehr Solidarität als im Westen
«Unsere Regierung in Ägypten ist solidarischer mit den Christen als jede andere Regierung eines westlichen Landes. Wir haben eine Regierung, die nicht von uns fordert, politisch korrekt zu sein in etwas, an das wir nicht glauben – das gibt uns eine grosse Freiheit innerhalb unserer Kirchen.» Zwar sei die offene Evangelisation nicht erlaubt, man dürfe auch kein evangelistisches Material auf den Strassen verteilen, «aber wir haben 16 christliche Buchläden in den Hauptbezirken Kairos. Man kann zu jeder Zeit dorthin gehen und ein Buch kaufen. Man kann auch bei jeder Buchmesse einen Bücherstand mieten und dort die Bibel verkaufen. Deshalb haben wir eine riesengrosse Freiheit!»
In Ägypten, so Atalllah, gibt es zehn Millionen Christen, darunter eine grosse Menge an koptischen Christen. Sie und die evangelischen Christen, die in deutlich kleinerer Zahl vertreten sind, verstünden sich untereinander sehr gut, da die orthodoxe Kirche äusserst bibeltreu sei. Es gebe sehr grosse christliche Kirchen, «eine Kirche in Ägypten kann gut 10'000 Kinder im Kindergottesdienst haben. Wenn man das sieht, wirkt das nicht wie eine verfolgte Minderheit.»
Gute Beziehungen zwischen Muslimen und Christen
Auch der Islam selbst sei noch bis in die 1960er Jahre sehr moderat gewesen. Muslime und Christen hätten ähnliche Werte gelebt und sich gut verstanden. Erst als viele Muslime zur Arbeit in andere arabische Länder zogen und später wieder zurückkehrten, hätten sie radikalere Lehren mitgebracht – welche das allgemeine Volk aber nicht einfach übernommen hätte. Von daher gibt es im Land zwei Seiten des Islam. «Innerhalb Ägyptens ist die Mehrheit der Lehren heutzutage sehr fanatisch. Aber die einfachen Leute sind nicht so. Es bestehen nach wie vor gute Beziehungen mit dem Christen.»
Auch die Regierung versuche mit allen Mitteln, Christen die gleichen Rechte zu sichern wie allen anderen Bevölkerungsgruppen. Probleme zwischen Christen und Muslimen gebe es vereinzelt im Süden des Landes. Dies sei meist auf familiäre und kulturelle Streitigkeiten zurückzuführen. Dass ägyptische Auswanderer von den schlimmen Zuständen berichten, läge ausserdem eher daran, dass sie ihren Weggang rechtfertigen wollten. Die Lage sei aber längst nicht so schlimm.
«Mehr Terroristen in England als in Ägypten»
Eine weitere falsche Auffassung sei, dass Ägypten ein gefährliches Land sei. Atallah zeigte vielmehr Unverständnis und sogar Ärger darüber, dass der Tourismus in seinem Land boykottiert würde. «Die Leute glauben, dass es ein gefährliches Land zum Reisen ist. Aber die einzigen Touristen, die in den vergangenen drei Jahren ermordet wurden, waren zwei Südkoreaner, die in den Nord-Sinai gingen, einen Ort, an den niemand gehen darf, weil er sehr gefährlich ist.» Vor dem Terrorangriff in Manchester hätte auch niemand gedacht, dass man nicht nach England reisen sollte. «Vermutlich gibt es in England mehr Terroristen als in Ägypten, weil es dort mehr unzufriedene Menschen gibt, die ganz leicht vom IS aufgefangen werden könnten.» Von daher sei die Gefahr in Ägypten nicht höher als in jedem europäischen Land.
Angriffe politischer Art
Angesprochen auf die Angriffe auf christliche Buchläden, erklärte Atallah, dass es sich hierbei nicht um einen religiösen Angriff handelte, sondern um einen politischen. Muslimbrüder haben durch den Angriff auf 80 Kirchen und christliche Institutionen Chaos entfachen wollen, um erneut die Macht an sich zu reissen. Und somit sei es nicht um den christlichen Glauben gegangen oder darum, dass Christen keine Bibeln mehr verkaufen sollten. Deshalb sagte Rames Atallah überzeugt: «Ich fühle mich völlig sicher in Ägypten, sowohl politisch als auch sozial und in jedem anderen Aspekt.»
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Datum: 16.08.2017
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / Protestante Digital