Coldplay: «We pray!»
«And so we pray…» beginnt der neueste Song von Coldplay und erinnert mit diesem Einstieg ein bisschen an die typische Gottesdienstformulierung: Lasst uns beten. Dabei sind Coldplay bisher noch nicht als explizit christlich in Erscheinung getreten. Was steckt also hinter der neuen Single, die sie Ende August veröffentlicht haben, und die Teil ihres im Oktober erscheinenden Albums «Moon Music» sein wird?
Sehnsucht und Not in Worte gefasst
Chris Martin, Jonny Buckland, Will Champion und Guy Berryman sind Coldplay. Sie gründeten ihre Band vor fast 30 Jahren als Studenten und treten immer noch in der gleichen Besetzung auf. Von Anfang an stehen sie für einen Mix aus Mainstream und experimentellen Elementen und für Texte, die sich immer wieder um gesellschaftliche Themen, aber auch ihre eigene Verletzlichkeit drehen. Ein typisches Beispiel ist «Fix you», das Martin als Trost für seine Ex-Frau Gwyneth Paltrow schrieb, als ihr Vater gestorben war. In «We pray» fasst er Sehnsüchte und Ängste zusammen, die nicht nur ihn umtreiben:
I pray that I don't give up, pray that I do my best
Pray that I can lift up, pray my brother is blessed
(Ich bete, dass ich nicht aufgebe, bete, dass ich mein Bestes gebe,
bete, dass ich aufrichten kann, bete, dass mein Bruder gesegnet ist.)
Laut Musikmagazin «Magnetic» schrieb Martin das Lied in einer schlaflosen Nacht in Taiwan, als ihn konkrete Nöte, aber auch die Situation der Welt umtrieben. So fasste er das alles zusammen in einen Mix aus Hip-Hop und Liturgie. Er betet, dass er wieder «Baraye» singen wird (ein iranisches Lied, das dort nach dem Tod von Mahsa Amini zur Hymne wurde), und er betet, «obwohl er im Tal des Todesschattens» ist, womit er an Davids 23. Psalm anknüpft.
Menschen mitgenommen
Die refrainhafte Wiederholung «we pray» nimmt die Hörenden mit hinein in die Ereignisse der Weltgeschichte bzw. nimmt ihre eigenen Sorgen und Ängste auf. Als Coldplay den Song das erste Mal auf einem Musikfestival im britischen Glastonbury spielte, stiess das spirituelle Thema direkt auf breite Resonanz. Inzwischen hat die Band bei YouTube eine Blanko-Version eingestellt. Nach einer Textzeile folgen nur noch die Begleitharmonien und laden Zuhörende ein, ihre eigenen Gedanken und Nöte zum Gebet zu machen. Tatsächlich ist «We pray» mehr als ein vorgetragenes Gebet, es ist die Einladung, gemeinsam zu hoffen. «Magnetic» formuliert es so: «Während des gesamten Liedes kann man eine Sehnsucht nach etwas spüren, das über das Unmittelbare hinausgeht – ein Bedürfnis nach Führung, Hoffnung und letztlich Frieden.»
An wen geht dieses Gebet?
Robin Ham fragt in einem christlichen Magazin nach: «Ist der Song ein Ruf an eine höhere Macht, ein Hilferuf oder nur ein Moment postmoderner Introspektion?» Er weist darauf hin, dass Coldplay immer wieder biblische Bilder verwendet, ohne dabei deutlich auf Gott hinzuweisen. Chris Martin bezeichnet sich seit Längerem als «Alltheist» – mehr als nur ein Wortspiel. «Gott ist die Magie in jedem Molekül, sogar in Menschen, die man nicht mag», hielt er fest. So ist «We pray» sicher keine gezielte Ansprache des biblischen Gottes, aber es ist trotzdem ein gemeinsames Gebet, ein Versichern der eigenen Belastbarkeit und ein Aufruf zur Liebe in unsicheren Zeiten.
Ein Stück weit geht es diesem Lied wie jedem Hilferuf. Da wird auch nicht immer der Adressat genannt, doch das bedeutet nicht, dass sich niemand angesprochen fühlt. Sollte Gott ernst gemeintes Gebet nicht hören? Robin Ham zieht jedenfalls als Fazit: «Zu wem beten wir? Für Christen ist es ein liebender Vater im Himmel, der durch Jesus unendlich persönlich und nahbar ist. Und obwohl ‘We pray’ nicht so weit geht, auf Gott als Vater zu verweisen, spielt es auf eine unverdiente Beziehung an, wenn es darin heisst: ‘Keep a smilin’ face only by his grace’ – Behalte dein lächelndes Gesicht durch seine Gnade allein.»
Hören Sie sich hier das Lied an:
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