Talk mit Johannes Czwalina

«Das grösste Gift auf der Welt ist der Hass»

Johannes Czwalina setzt sich intensiv mit dem Thema Frieden auseinander.
Im Livenet-Talk spricht der Friedensforscher Johannes Czwalina über die Kraft von Hass, Vergebung und die Wichtigkeit, mit der Vergangenheit versöhnt zu sein. In Riehen richtete er eine Gedenkstätte für abgewiesene jüdische Flüchtlinge ein.

Während der Zeit Nazideutschlands ersuchten 30'000 jüdische Flüchtlinge in der Schweiz Asyl – und wurden abgewiesen. Damit waren sie den Nazis ausgeliefert. Diese Tragödie darf nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb gründete der Pfarrer, Friedensforscher und Unternehmensberater Johannes Czwalina in Riehen eine Gedenkstätte für die jüdischen Flüchtlinge während des zweiten Weltkriegs. Es ist die einzige solche Stätte in der Schweiz. Im Livenet-Talk spricht er mit Florian Wüthrich.

Drei Herren und längst vergangene Geschichten

«Wir sind hier an einem absolut zentralen Punkt der Flüchtlingsbewegung», sagt Johannes über den Standort Riehen und insbesondere die Strasse, an welcher die Gedenkstätte liegt und welche vielen Menschen als Fluchtlinie diente.

Eigentlich hatte er das Ziel, ein Gästehaus zu errichten. «Es war nicht mein Ziel, eine Gedenkstätte zu bauen.» Doch dann kamen eines Tages drei älteren Herren, welche das Haus besuchten wollten. Es sei das Haus ihrer Kindheit. Nebenbei erzählten sie vom damals einzigen Auto in Riehen – dem Polizeiauto. Dieses fuhr täglich mehrmals leer die Strasse nach oben und dann wieder voll nach unten. Ihre Mutter hatte erklärt, dass dies keine richtigen Flüchtlinge, sondern Juden wären, die wieder nach Deutschland geschafft werden müssten. «Damals wusste man schon sehr genau, was mit den Juden passiert und dass die Schweiz diese Juden damit bewusst in den sicheren Tod schickt.» Der Besuch der drei Herren hinterliess bei Johannes Spuren.

Gästehaus oder Gedenkstätte?

«Ich habe mich geärgert. Ich wollte diesen Schmerz, von dem ich da hörte – verbunden mit diesem Haus – verdrängen.» Trotzdem erkundigte er sich, ob es in der Schweiz irgendwo eine Gedenkstätte für die damals zurückgewiesenen Juden gab und fand heraus, dass zwar einige Pläne für ein solches Projekt bestanden hatten, jedoch nie umgesetzt wurden. «Das hat mich sehr betrübt.»

Längere Zeit brütete er über der Idee, eine Gedenktafel aufzustellen oder das Gästehaus mit einer Gedenkstätte zu verbinden. Letztlich kam er zu folgender Erkenntnis: «Wenn ich nicht ein persönliches Opfer bringe, dann wird dieses Anliegen nie realisiert werden.» Nach starkem inneren Ringen beerdigte er seinen Plan eines Gästehauses und errichtete stattdessen eine Gedenkstätte. «Ich erlebe dadurch sehr viel Segen. Wir haben jede Woche zwei, drei Führungen und so sind hier jetzt bislang 70'000 Menschen durchgegangen.»

Aktuelle Ereignisse im Nahen Osten

Im Talk geht es auch um die jüngsten Geschehnisse im Nahen Osten. Obwohl sich Johannes klar auf die Seite Israels stellt, ringt er mit Worten. «Gewalt ist nie die Lösung. Gewalt ist immer das Problem.» Die Frage sei aber auch, was die radikale Hamas antreibe. Da sei eine extreme Ideologie, der Glaube an Gewalt, aber auch die Religion. «Das Problem ist, dass wir nicht gründlich genug darüber nachdenken, mit welchen Waffen wir als Christen Stellung nehmen.» Dem Hass der Hamas könne man nicht allein dadurch begegnen, sich auf die Seite Israels zu stellen. «Unser Kampf ist ein geistlicher Kampf!» Er spricht von unsichtbaren Mächten, die mit Waffengewalt nicht besiegt werden können. «Wir sind jetzt dazu aufgerufen, die Waffen des Glaubens einzusetzen. Und ich bin in einer etwas gelähmten Situation, weil ich nicht so genau weiss, wie ich die geistlichen Waffen in diesem Fall am weisesten einsetzen kann.»

Identität und Botschaft der Christen

«Wir müssen auf unsere christliche Identität schauen. Was ist unsere Kernbotschaft?» Dabei gehe es um die Hinwendung zu Christus und seinen Tod für unsere Errettung. Es gehe um die Verpflichtung der Bergpredigt, Verletzten und Bedrängten zu helfen und um das Zentrale der Vergebung. «Ich kann es total nachvollziehen, dass Israel jetzt gerade nicht in diesen Kategorien denken darf, will oder kann.» Als Christen könnten und sollten wir dies aber schon.

«Das grösste Gift auf der Welt ist der Hass.» Hass sei wie ein Brand, welcher auf der ganzen Welt brennt. Wir versuchen ihn überall zu löschen, doch er wird immer grösser. «Nach welchen Gesetzmässigkeiten wächst der Hass?» Johannes bedauert, dass gerade durch die neu ausgebrochenen Konflikte in Israel das Anliegen der Versöhnung um 20 Jahre zurückgeworfen wird. «Das macht mich total traurig.» Er ist überzeugt, dass Jesus uns mit der Versöhnung eine mächtige Waffe gegeben hat. Als positives Beispiel erzählt er von einem russischen Arzt, welcher in aktueller Zeit in die Ukraine gezogen ist, um die Leute dort medizinisch zu unterstützen. «Es gibt auch Gruppen, die zusammen mit Palästinensern in Israel jetzt gerade in dieser Zeit Zeichen der Versöhnung setzen.» Johannes ist berührt, wenn Menschen Mut zeigen, über gesetzte Grenzen hinausgehen und Liebe dort sichtbar machen, wo sonst nur noch der Hass herrscht. «Nachhaltiger Frieden ist immer durch Menschen gekommen, die sich berühren liessen.»

Neues Buch: «Wenn die Zeit die Wunden nicht heilt»

Am Ende des Talks geht es noch um das in Kürze erscheinende neue Buch von Johannes Czwalina. Es entstand in Zusammenarbeit mit Opfer- und Täterfamilien aus dem Zweiten Weltkrieg und deren inneren Belastungen, die sie loswerden wollen. Das Ergebnis sei ein spannendes und emotionales Buch. «Letztlich ist der Weg der Vergebung der einzige Weg.»

«Ich möchte in meinem kurzen Leben dazu beitragen, dass Menschen in einen Frieden kommen.» Dabei gehe es nicht um oberflächliche Happiness, sondern um einen Frieden, in dem die Vergangenheit bewältigt ist.

Sehen Sie sich den Talk mit Johannes Czwalina an:

 

Zum Buch:
Wenn die Zeit die Wunden nicht heilt

Zum Thema:
Gebetswache der Allianzen: Für Frieden im Nahen Osten und für das jüdische Volk
Auf den Kopf gestellt: Frieden stiften – eine sehr persönliche Sache
Warm-up Führungskräfte-Forum: Unternehmensberater Czwalina: «Ich arbeite, weil ich wertvoll bin»

Datum: 09.01.2024
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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