Eine ganze Generation als Lerngemeinschaft
Die sogenannten Babyboomer sind die bevölkerungsreichste Generation unserer Gesellschaft. Im Livenet-Talk sind zwei Männer zu Gast, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben: Beat Brugger, Pastor der Viva-Kirche in Pfäffikon und René Winkler, ehemaliger Direktor Chrischona International.
Die bevölkerungsreichste Generation aus den Augen verloren
«Ich bin in einer Weiterbildung und machte dort eine Sinusstudie über Pfäffikon und Region.» Beat berichtet von einer Grafik, die ihm dabei ins Auge gestochen ist. «Da sah man die bevölkerungsreichste Generation unserer Gesellschaft und wir haben sie überhaupt nicht im Blick.» Kinder und Jugendliche seien im kirchlichen Fokus, auch Ehen und Familien und dann gibt es noch die sogenannte Seniorenarbeit. «Den ganzen Bereich der Boomers haben wir aber gar nicht im Blick. Das sind auch diejenigen, die den Gottesdiensten je länger desto mehr fernbleiben und mit dem Wohnmobil am Sonntag ins Tessin fahren.»
«Vorwärtsleben»
«Es gibt Leute die sehr engagiert waren – jahrelang, manchmal Jahrzehnte», führt René aus. Plötzlich fällt ihre Rolle weg und sie erkennen ihren Platz nicht mehr. Gleichzeitig haben sie neue Freiheiten. «Viele gehen klug mit der Situation um und finden einen guten Weg, während andere nach einem Feriengefühl des Frisch-Pensioniert-Seins das Gefühl der Sinnlosigkeit erfahren.» Oft liegen Kraft, Zeit und Möglichkeiten einfach brach. «Ich frage mich, was da genau passiert. Wieso passt es nicht mehr? Ist es eine Reaktion auf die Art, wie wir den Glauben leben?»
Um diese Fragen geht es in den Podcasts «Vorwärtsleben», moderiert von Christiane Rösel und René Winkler. «Vorwärtsleben ist das Programm. Man kann nicht plötzlich nur rückwärtsschauen und von dem leben, was einmal war.» René selbst sage sich immer wieder: «Alles, was ich bisher getan habe, ist nicht wichtig.» Er müsse im Heute leben, das gebe ihm Perspektive. Im Podcast würden Leute zu Wort kommen, die von eigenem Erfahren berichten.
«Pension mit Vision»
René will über die Herausforderung der Pensionierung reden. Die berufliche Zugehörigkeit fällt genauso weg, wie die Aufgabe. «Ich selbst habe grossen Respekt vor diesem Moment.» Er sei kein starker Beziehungsmensch und lebe viele ganz guten Beziehungen im Rahmen seiner Aufgabe. Wenn diese Aufgaben dann wegfallen, wo gehört er dann noch dazu? «Ich habe den Verdacht, dass wir unsere Zugehörigkeit in den Gemeinden oft über Mitarbeit erleben.» So würde das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stark durch die Leistung und zu wenig durch Beziehung und Identität definiert.
«Die Leute wollen noch etwas bewegen – oder sie wollen sich vergnügen.» So sieht Beat die Babyboomer. Den Leuten in seinem Umfeld, die pensioniert werden, wünscht er, Teil der Mission zu bleiben. Das gebe Sinn und Perspektive. «Ich glaube, dass wir hier eine Win-win-Situation haben können.» Er ist überzeugt, dass Pensionierte mit einer Vision selbst gewinnen und gleichzeitig mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen für Gottes Reich ein grosser Gewinn sein können. Deshalb heisst sein Projekt auch «Pension mit Vision».
Das Potenzial sinnvoll nutzen
Der Frage, wie wir die Zeit nach der Pensionierung intelligent füllen, will René mit einem sinnvollen Bildungsangebot füllen. «Wir sprechen auch darüber, ob wir Babyboomer als Generation eine Berufung haben.» René spricht auch von Möglichkeiten zum Dienen. «Wie dienen wir der Generation vor uns, die jetzt im hohen Alter ist und wie sieht es mit den Generationen nach uns aus?» In der nächsten Zeit könne fast alles durch die Babyboomer bestimmt werden. «Wegen unserer Menge und weil wir gewohnt sind, mitzureden. Aber wir können die nachfolgende Generation auch ersticken.» Im Talk teilen Beat und René einige Gedanken darüber, wie dieses grosse Potential sinnvoll genutzt werden und ein gutes Miteinander der Generationen aussehen könnte.
«…es braucht mich niemand»
René und Beat plädieren dafür, dass Pensionierte nicht einfach «freie» Jöbli übernehmen. «In unseren Gemeinden haben wir oft das System, dass dort, wo Lücken entstehen, jemand gefunden werden muss, damit es weiter läuft. Wir müssen viel konsequenter ressourcenorientiert denken», sagt René. So müssen gewisse Aktivitäten auch mal reduziert oder eingestellt werden, anstatt «etwas zu betreiben, das wir schon vor 15 oder 30 Jahren erfunden haben und es nett ist, wenn es weiterläuft.» Beide Talkgäste berichten davon, dass Pensionierte oft sagen: «Ich würde mich gerne investieren, doch es braucht mich niemand.»
Lebenslanges Lernen
«Das ist eine Pioniersituation», sagt Beat über das Engagement mit den Babyboomern. «Du hast noch keine Erfahrung und weisst nicht, ob das, was du machst, fruchtbar sein wird. Aber du musst einmal etwas probieren.» In der Praxis sei er ständig damit konfrontiert, dass sich viele von seinen Angeboten nicht angesprochen fühlen. Ein 64-Jähriger fühle sich zur Teilnahme einer Schulung zur Vorbereitung auf die Pensionszeit zu jung.
Es wird viel über lebenslanges Lernen gesprochen. René stellt fest, dass wir dieses Lernen aber meist in den beruflichen Kontext stellen. Die Pensionierung sei ein Neuanfang und erfordere eine Haltung des Lernens ganz besonders. Er strebt an, dass sich die Generation der Babyboomer als Lerngemeinschaft versteht – und nicht als Konsumenten. Das Lernen beinhalte unter anderem auch das Finden von Glaubensinhalten und Ausdrucksformen.
Sehen Sie sich den Talk mit Beat Brugger und René Winkler an:
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Datum: 05.01.2024
Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Livenet