Hella Thorn: «Es ist Zeit, Kirche zu gestalten»
Die Rekordmeldungen der beiden deutschen Grosskirchen sind noch nicht alt. Im letzten Jahr haben sie zusammen 740'000 Mitglieder verloren. Fast jede 30 Sekunden hat eine Person ihrer Kirche den Rücken gekehrt. In diesem Klima fand im Juni der Evangelische Kirchentag unter dem Motto «#Jetzt ist die Zeit» statt. Hella Thorn vom Netzwerk Fresh X teilte dazu ihre eigenen Aufbruchsgedanken: «Acht Gründe: Jetzt ist die Zeit, Kirche zu gestalten.» Hauke Burgarth hat sie dazu befragt.
Die acht Thesen
Fresh X ist ein Netzwerk von Christen, die Kirche neu denken und leben wollen. Die Theologin Hella Thorn fasste auf dieser Plattform einige ihrer Ideen in Thesen zusammen. Sie sagt: Jetzt ist die Zeit, Kirche zu gestalten…
- … weil die Strukturen es ohnehin erfordern.
- … weil es bereits viele gibt, die schon unterwegs sind.
- … weil es viele Inspirationsquellen gibt, von denen man profitieren kann.
- … weil man es jetzt noch in Freiheit und mit Gestaltungskompetenz tun kann.
- … weil es erste Vorstösse, Ideen und Konzepte gibt, wie Kirche auch unternehmerisch tätig sein kann.
- … weil es immer mehr Menschen gibt, die sich nach einer spirituellen Verankerung in ihrem Alltag sehnen.
- … weil die Möglichkeiten, eine Gemeinschaft zu bilden, selten so vielfältig waren.
- … weil es jetzt möglich ist. Weil es jetzt dran ist.
Ausführlicher sind diese Thesen auf der Seite von Fresh X dargestellt.
Ein grosses Herz für Kirchenentwicklung
Für viele ist Kirche ein Auslaufmodell. Sie hat ihre Zeit gehabt… Nicht so für Hella Thorn. Sie meint: «Ich habe ein grosses Herz für Kirchenentwicklung. Das ist ein spannendes Thema.» So beschäftigt sie sich beruflich und privat damit: Sie arbeitet für Fresh X und als Redakteurin des Magazins «3E – echt. evangelisch. engagiert.», mit dem sie Leserinnen und Leser in der Landeskirche inspirieren möchte. Privat engagiert sie sich in ihrer Kirchengemeinde im Presbyterium. Dabei wünscht sie sich, nicht nur auf Krisen zu reagieren, sondern Kirche weiterzuentwickeln, «weil wir doch Menschen begegnen wollen». Das ist für die junge Theologin alles andere als langweilig, eher hochkomplex und spannend.
Dass sie sich einmal so stark für den Glauben engagiert, war ihr nicht in die Wiege gelegt. In ihrem Elternhaus spielte Kirche keine grosse Rolle, doch eine Nachbarin fragte sie schon früh, ob sie mal in den Kindergottesdienst mitkommen wollte. Sie wollte und lacht: «Das war super für die Eltern. Sie konnten ausschlafen und ich war beschäftigt.» Dort hörte sie von Gottes Liebe und entschied sich bereits als Kind dafür, mit Jesus zu leben. «Anschliessend habe ich eine normale kirchliche Karriere gemacht, war in der Jungschar, im Teen- und Jugendkreis. Kirche habe ich dabei immer als Ort erlebt, wo ich mich ausprobieren konnte, der Entwicklung möglich gemacht hat. Es war ein krasses, gutes Boot-Camp. Das hat mir viel gegeben.»
Nach der Schulzeit wollte sie hier tiefer eintauchen und Zusammenhänge verstehen, so studierte sie unter anderem Theologie. Währenddessen wurde ihr klar, dass sie nicht als Pfarrerin arbeiten wollte, sondern stattdessen in einem Mix aus Kirchenpolitik, Theologie und Schreiben. Nach wie vor hat sie ein grosses Herz für Kirchenentwicklung.
«Manchmal bin ich anstrengend»
In ihren Thesen spricht Hella Thorn von Pionieren, die bereits unterwegs sind, «an die man sich dranhängen kann». Damit meint sie in erster Linie hauptamtlich Tätige, die eine grosse Reichweite haben, Menschen, die mit Ideen und Charisma vorangehen und denen andere folgen, «Influencer» im besten Sinne. Sich selbst versteht sie eher «nur» als Ehrenamtliche, die oft an Strukturen und bestehenden Prozessen scheitert. Gleichzeitig räumt sie ein, dass sie vor Ort durchaus etwas in Bewegung setzt und für ihren Pfarrer sicher «manchmal anstrengend und manchmal begeisternd» ist, weil sie viele neue Ideen einbringt.
Der eigene Weg
Hella Thorn schreibt in ihren Thesen von verschiedenen Möglichkeiten, wie Kirche erneuert werden kann: eher spirituell, unternehmerisch oder durch Gemeinschaften geprägt. «Der Gedanke, in einer christlichen Gemeinschaft oder Community zu leben, begleitet mich schon länger. Sehr nah beieinander das Leben zu gestalten und teilen, das finde ich sehr schön, aber ich weiss nicht, ob es zu mir oder zu uns als Familie passt.» Neu war für sie der Gedanke, unternehmerisch Kirche zu sein. Dazu erschien letztes Jahr eine gleichnamige Studie mit vielen Anregungen, wie Kirche und Unternehmen voneinander profitieren können. «Das finde ich unfassbar spannend. Lasst uns darüber doch einmal neu nachdenken, denn Kirchensteuer wird weniger, da brauchen wir gar nicht drumherum reden.»
In diesem Sinne sind ihre Thesen nicht das, was sie selbst schon umsetzt und worin sie bereits lange Erfahrung hat, sondern ein öffentliches Nachdenken darüber, was hilfreich sein könnte, ein Mit-hinein-Nehmen in das, was sie selbst begeistert. Dabei unterscheidet sie deutlich zwischen beruflich und privat: «Beruflich inspiriere ich andere durch meine Artikel, privat engagiere ich mich und suche nach Lösungen, die bei uns vor Ort passen.» Und sie weiss: «Das bleibt ein Ausprobieren, ein Fragen, ein Ins-Gespräch-Gehen mit den Leuten, mit denen man gemeinsam Glauben leben und Kirche gestalten will.»
Traumkirche
«Ich weiss nicht, wie», schiebt sie voran, aber sie träumt «von einer Kirche, die einen Unterschied macht, darin, wie die Menschen dort zusammenkommen und einfach sind». Die Kirche, die die Theologin gestalten möchte, soll niemanden ausgrenzen oder diskriminieren. Dort soll jeder gesehen werden, darf sein und auch mitgestalten. Bevor diese Kirche irgendwelche moralischen Ansprüche erhebt, hören alle die frohe Botschaft: «Du bist geliebt und wertvoll.» Hella Thorn weiss, hier ist sie ebenfalls Lernende, aber von dieser Kirche möchte sie nicht nur träumen – sie gestaltet sie mit.
Hella Thorn arbeitet als Autorin, Redakteurin (u. a. für Fresh X und den SCM Bundes-Verlag) und Lektorin. Privat ist sie Mitwirkende, Mitgestaltende und Mitdenkerin in einer Kirche in Iserlohn.
Zur Webseite:
Fresh X
Zum Thema:
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Datum: 26.07.2023
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet