«Mein Herz blutet»
Die Solidaritätskundgebung, die am vergangenen Dienstag, 10. Oktober, für die Opfer des palästinensischen Angriffs auf Israel durchgeführt wurde, hat aufgewühlt. Die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ) und weitere Organisationen hatten dazu eingeladen. Auch wer persönlich keine Opfer kennt, zeigte durch die Anwesenheit seine Anteilnahme. Schon auf dem Weg zum Münsterhof fiel eine Frau auf, die mit der Israel-Flagge über den Schultern eine Sammelbüchse schüttelte und um Spenden für die Opfer bat. Mutig forderte sie Passanten auf, jetzt sofort etwas beizutragen gegen das Elend. Die Christin unterstützt schon seit Jahren eine jüdische Familie, indem sie deren Datteln in der Schweiz verkauft.
Die Glocken läuten
Auf dem Münsterplatz, mitten in der Stadt, strömten über Tausend Menschen zusammen. Die Pfarrer des Gross- und des Fraumünsters liessen die Glocken ihrer Kirchen läuten und bezeugten nebst Worten so ihr Mitgefühl. Polizei war vor Ort, doch es ging friedlich zu und her. Alle Generationen waren vertreten, viele jüdische Mitbürger, aber auch Christen hatten sich versammelt. Es gab Plakate mit Aufdrucken wie: «Diese Familie wurde ermordet. Ihr Verbrechen? Sie waren Juden» oder «Bringt meine Cousins zurück – sie wurden verschleppt». Sie zeigten die Bilder der Vermissten.
Eine Jüdin, die vor fünf Jahren aus Israel in die Schweiz gezogen ist, sagte zu ihrer Nachbarin: «Mein Herz blutet!» Die Christin antwortete: «Meines auch...» Erstere trug ein Schild mit der Aufschrift: «Our love is stronger than their hate» (Unsere Liebe ist stärker als ihr Hass). Es drückte aus, was auf dem Platz spürbar war: Keine Aggression, sondern Trauer und der Fokus, nicht aufzugeben. Spontan wurde immer wieder ein Lied angestimmt und auf Hebräisch gesungen: «Israel soll leben! Gott ist mit uns.» Offensichtlich ist es für Juden nichts Neues, wieder aufzustehen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Sie stehen zusammen und gehen vorwärts, manchmal singend.
Wir geben nicht auf
Zwei junge Frauen hielten ein Plakat hoch: «Palästinenser sind unterdrückt, weil ihre Führer ständig neue Kriege anfangen. Die sie immer verlieren. Kriege sind keine Lösung. Wir alle haben das Recht, zu existieren und zu leben.» Sie gehören zu den jüdischen Mitbewohnern in Zürich. Die beiden wollen keinen Krieg, doch wenn Israel angegriffen werde, könne die Welt nicht erwarten, dass es das einfach erdulde. «Wir haben wie jedes andere Land das Recht, uns zu wehren», findet die eine. «Ich möchte wissen, wie die Schweiz in der gleichen Situation reagieren würde…»Als ihnen eine Christin ihr Mitgefühl ausdrückte und sagte, dass das Christentum ohne Judentum nicht existieren würde und sie ihr Volk deshalb sehr achte, waren die beiden überrascht. Später klopfte ihr die eine auf die Schulter, und die jungen Frauen bedanken sich für ihre Haltung und Anteilnahme. Eine berührende Szene.
Politiker werden aktiv
Die Stadtpräsidentin von Zürich, Corinne Mauch, meldete sich schriftlich, Marcel Fehr, Regierungsratspräsident, drückte vor Ort Trauer und Solidarität aus. Er verurteilte die Gräueltaten der Hamas scharf und forderte auf, dass diese endlich auch von der Schweiz als Terrororganisation bezeichnet und nicht mehr via Hilfswerk unterstützt werden. Fehr war entschieden: «Das Verbot der Hamas delegieren wir nicht an internationale Organisationen, wir beschliessen es selbst.» Er sei verärgert über jene, die den Israelis in den sozialen Medien bereits wieder eine Mitschuld geben. «Solche Relativierer sollten ihre nächsten Ferien in Gaza verbringen. Dort werden sie sehen, wie diese Terroristen auch ihr eigenes Volk bedrohen.» Und er versprach den Anwesenden: «Unsere Gebete sind mit Ihnen.» In Zürich könnten Jüdinnen und Juden in Sicherheit leben. «Ihr seid unsere Nachbarn und Freunde.»
Tiefe Trauer
Ifat Reshef, die israelische Botschafterin, erzählte mit bebender Stimme von Kindern und Familien, «die von den Terroristen abgeschlachtet und hingerichtet worden sind». Unter Tränen sagte sie: «Ich kann nicht aussprechen, welche Qualen unser Volk leidet. Mehr Menschen als im Sechs-Tage-Krieg wurden getötet – nur, weil sie Juden sind.» Doch sie sei auch stolz auf ihre Landsleute. Die Betroffenen im Süden erführen viel Hilfe durch sie. «Sie kommen mit Essen, Kleidung oder ihren Fähigkeiten, kümmern sich zum Beispiel psychologisch um die Leidenden.»
Gegen Terror, nicht gegen das Volk
Die Empörung aller, die zu den Versammelten sprachen, richtete sich gegen die Terroristen der Hamas, nicht gegen das palästinensische Volk. «Wie können Menschen so etwas Menschen antun?», fragt sich Viviane Mor von der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ICZ. Deren Präsident, Jacques Lande, forderte zu einer Schweigeminute für die Getöteten, Verwundeten, Verschleppten und Trauernden auf. Er nennt im persönlichen Gespräch einige Gelegenheiten, die Palästinensern ein eigenes Land ermöglicht hätte. «Sie gingen nie darauf ein.» Dennoch akzeptierte die Hamas den Staat Israel nicht, deshalb müssten die Grenzen verteidigt werden. Zum Schluss wurde von Anwesenden wieder ein Lied angestimmt: «Hevenu schalom alechem» – «Wir wollen Frieden für alle – wir wollen Frieden für die Welt.»
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Datum: 13.10.2023
Autor:
Mirjam Fisch-Köhler
Quelle:
Livenet