Endlesslife

«Es werden herausfordernde Jahre werden»

Thomas Feurer im Dienst
Der Kokainkonsum wächst in der Schweiz enorm, beobachtet Thomas Feurer, Leiter von Endlesslife. Auch Crack spielt zunehmend eine Rolle, erklärt er im Livenet-Interview. Immer wieder können er und sein wachsendes Team aber einen Unterschied machen.

Thomas Feurer, bei unserem ersten Interview vor fünf Jahren gab es einen Standort vom Verein Endlesslife, jetzt gibt es bereits vier – was ist geschehen? Gibt es mehr Süchtige oder mehr Hilfe?
Thomas Feurer:
Diese Frage zu beantworten ist nicht ganz einfach. Es spielen viele Faktoren eine Rolle. Zuerst ist wichtig: EndlessLife kreiert keine Angebote, sondern wir versuchen, auf Bedürfnisse zu reagieren. Es gibt eine massive Zunahme im Bereich vom Kokainkonsum, und auch Crack spielt mittlerweile eine Rolle. Aber auch sonst stehen immer mehr Menschen in grossen finanziellen Herausforderungen, und wir stellen fest, dass immer mehr Menschen unser Angebot der Kleiderabgabe, Gutscheine, kostenloses Haarschneiden und so weiter in Anspruch nehmen. Endlesslife-Standorte entstehen immer durch einen Herzschlag eines weiteren Mitarbeiters. Wenn jemand spürt, dass er gerufen wird, diesen Dienst zu tun, nimtt die Person meistens Kontakt mit mir auf. Der Lifestyle «Endlesslife Hilfe, die trägt» gehört nicht mir, sondern Menschen, die mit diesem Style einen Unterschied machen wollen. Ich stelle dann alles zur Verfügung und so wachsen wir. Der Rest passiert aufgrund von Bedürfnis, Not und dem richtigen Herzen. So sind die Standorte Chur, Brig im Wallis und Uznach entstanden.

Ein Standort liegt im Wallis. Wie gross ist das Problem in diesem idyllischen Kanton im Süden der Schweiz?
Genaue Zahlen liegen mir nicht vor. Mein Standortleiter Florian Vetsch sagte mir aber, dass vor allem Cannabis und Alkohol ein grösseres Thema sind. Von der Situation bezüglich harter Drogen werden wir erst im Laufe der Zeit mehr Fakten sehen. Sicherlich spielt Kokain eine Rolle und auch Party-Drogen. Das ist aber in der ganzen Schweiz ein Thema. Ebenfalls sind junge Menschen in allen Kantonen gleichermassen den Texten der Rap- und Hip-Hop-Szene ausgesetzt. Dies bringt auch Themen wie Makatussin-Sirup und Xanax mit sich. Es werden herausfordernde Jahre werden.

Auf Ihrer Website bieten Sie digitale Hilfe, zum Beispiel über eine Handy-Nummer – wie wird dieses Angebot genutzt?
Wir bieten einerseits Aufklärung auf unserer Seite «Drugabuse.ch» an, und ebenfalls die Möglichkeit, uns per SMS, Whatsapp, Signal, Telegram, Instagram, Facebook, Snapchat und TikTok zu kontaktieren. Diese Angebote werden sehr oft genutzt, vor allem, wenn Kinder in Not geraten wegen der Sucht der Eltern, oder von Eltern, die Sorge um die Kinder haben. Wir sprechen hier monatlich von insgesamt gut 100 bis 120 Kontaktaufnahmen auf diesem Weg.

Was geschieht, wenn jemand um 2 Uhr in der Nacht in höchster Not anruft?
Dann kommt eine automatische Antwort, die auffordert, eine SMS oder Wathsapp mit Angabe des Anliegens zu senden. Oder eine der in der Nachricht enthaltenen Nummern zu kontaktieren, zum Beispiel eine Notschlafstelle. Sollte eine Wathsapp-Nachricht kommen, werden wir je nach Dringlichkeit am Morgen oder sofort reagieren. Wir sind aber für medizinische Notfälle nicht der richtige Partner, da empfiehlt sich der Notruf oder die Polizei. Alle anderen Fälle können in der Regel zu den Bürozeiten geregelt werden. Es ist nicht realistisch, einen 24/7-Dienst bei einer rein freiwilligen Arbeit mit geringen Spendeneingängen aufrecht zu halten.

Ein Schwerpunkt ist die Gassenarbeit, wie sieht diese aus? Im Wissen, dass wohl jeder Einsatz anders ist...
Wir sind auf der Strasse, an den Brennpunkten mitten unter den Usern und den Klienten. Wir holen sie dort ab, erkundigen uns über die Befindlichkeit und informieren über Angebote und Möglichkeiten. Eine davon ist die Tagesstruktur bei uns oder eben Selbsthilfegruppen und so weiter. Aber oft gehen wir direkt mit ihnen Sachen erledigen wie Behördengänge, Wohnungsbesichtigungen oder das Beschaffen dringend notwendiger Sachen.

Können Sie ein, zwei Beispiele beschreiben, wie Menschen durch Endlesslife verändert wurden?
Naja, da gäbe es viele, viele Beispiele. Tatsache ist, dass es einige gibt, die heute Teil des Teams sind, andere haben den Ausstieg aus der Droge geschafft und wurden komplett inkludiert, haben sogar eine eigene Familie mit Kindern. Die Beispiele sind effektiv in den bald 20 Jahren Endlesslife zu vielen freudigen Geschichten gewachsen. Manchmal begleiten wir Menschen jahrelang und dann irgendwann, wenn wir uns aus den Augen verloren haben, schreiben sie einen Dankesbrief. Einige leben mit Gott, andere leben ohne Bezug zu Gott. Wir freuen uns einfach, wenn wir einen Teil dieser Veränderungen mittragen konnten.

Welche Rolle spielt der Glaube im Alltag?
Das ist bei jedem vom Team ganz individuell. Bei uns sind fast alles Christen, aber das Werk wird nicht als christlich geführt, damit jeder, der Hilfe braucht, diese auch holen kommt. Aber natürlich ist ein Dienst in dieser doch eher tristen Thematik ohne Beziehung zu Jesus nicht langfristig zu ertragen. Ich selber lebe stark mit Jesus und er ist mein Lebenszentrum. Wir bieten aber auch eine Seelsorge an, die genutzt werden kann.

Gibt es neue Projekte, die bei Ihnen anstehen?
Gerade gehe ich fast in Arbeit unter und sage deswegen mit einem Lachen «hoffentlich nicht». In der Notschlafstelle beginnt gerade die Saison, wir sind schon in der Vorbereitung der Gassenweihnacht.ch und auch die Präventionssaison 23/24 startet im November. Es ist also viel los. Aber unsere Angebote wachsen mit der steigenden Not und den daraus entstehenden Bedürfnissen… Ja, ich denke, da kommt noch einiges auf uns zu. Wir sind leicht zitternd gespannt.

Gibt es Menschen, die früher selbst betroffen waren, denen Sie helfen konnten und die sich nun selbst bei Endlesslife engagieren?
Gerade bin ich meinen Nachfolger Sandro Rüegg am Aufbauen, der bei uns Hilfe gefunden hat, Mitglied des Vorstands wurde, Leiter des Standorts Uznach ist und ab Januar – wir hoffen auf Spenden – zu 40 Prozent die Ausbildung von etwa zwei Jahren antritt, bis ich dann die Leitung abgeben werde. Ich werde aber meinen Dienst weiter verrichten mit etwas weniger Gesamtdruck. Einmal Endlesslifer, immer Endlesslifer!

Was bewegt Sie persönlich bei Ihrer Arbeit besonders?
Der negative Trend in der Drogenpolitik, die zunehmenden Konsumzahlen, vor allem bei Kokain, und die sich verbreitende Crack-Problematik in den grösseren Städten. Aber ich merke auch, wie mit zunehmendem Alter mein Herz mehr unter den schweren Einzelschicksalen mitleidet. Auch Begegnungen mit sehr jungen Menschen und Minderjährigen auf der Drogenszene machen mich schwer betroffen… Ich habe ja auch Kinder in diesem Alter von 14 bis 16 Jahren.

Zur Website:
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Datum: 29.10.2023
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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