«Ich lerne vieles über mich selbst»
Wie kamst du zum Amt als Schiedsrichter?
Florian Wüthrich: Mein Vater war Schiedsrichter; schon als kleiner Junge habe ich ihn an Fussballspiele begleitet. Es faszinierte mich früh, wie er knifflige Spielsituationen beurteilte und mutig seine Entscheidungen vertrat. Später, mit Mitte 30, habe ich mich selbst der Herausforderung gestellt und bin nun im sechsten Jahr als Schiedsrichter auf den Fussballplätzen der Region unterwegs.
Worauf fokussierst du bei einem Match als Zuschauer?
Da ich den Fussballsport auch als Trainer und Spieler kenne, springt mein Auge zwischen den Protagonisten ständig hin und her. Aber klar, den Schiedsrichter habe ich immer im Blick. Ist er auf der Höhe des Geschehens? Kommuniziert er seine Entscheidungen klar? Wie hätte ich diese Szene gemeistert? Ob 3.-Liga-Spiel oder internationales Spitzenspiel: Jedes Fussballspiel ist spannend für mich.
Hast du höhere Ziele als Schiedsrichter?
Nein, dafür bin ich zu alt. Ich sehe diese Einsätze als gute Charakterschule und als Aufgabe, die mich fit hält. Ich spüre den Puls der Gesellschaft und es ist spannend, das Verhalten der einzelnen Akteure zu beobachten. Auch emotional aufgeladene Momente gehören zum Fussball und reizen mich speziell. Dabei lerne ich viel über mich selbst.
Hast du ein unvergessliches Erlebnis auf dem Rasen?
Ein schönes Erlebnis hatte ich, als ein Stürmer bei einem Konter im Strafraum gefoult wurde – zumindest sah es aus meiner Sicht so aus. Mein Pfiff war bereits ertönt und es hätte Elfmeter gegeben. Der Stürmer der angreifenden Mannschaft signalisierte aber sofort, dass es kein Foul war, weil der Verteidiger den Ball gespielt hatte. Ich revidierte meinen Entscheid und dankte dem Stürmer für seine Ehrlichkeit. Solche Fairplay-Gesten sind selten.
Was ist dir wichtig im Umgang mit den Spielern?
Dass ich die Ruhe bewahre, allen respektvoll begegne und mich nicht selbst ins Zentrum stelle.
Wie fühlst du dich, wenn sich andere deinen Anweisungen unterordnen?
Ich spüre vor allem Verantwortung. Wenn ich wach und fit bin (physisch und in Bezug auf die Spielregeln), kann sich ein schöner Wettkampf entwickeln. Wenn nicht, kann ich Unruhe und Chaos anrichten. Natürlich habe ich als Schiri die Fairness der Spieler nicht in der Hand, jedoch grossen Einfluss auf die Dynamik eines Spiels. Ich bin ein wichtiges Element in einem geordneten System mit klaren Spielregeln – wie im gesellschaftlichen Zusammenleben, wo es gilt, Gesetze und Verhaltensregeln zu befolgen.
Sich anderen unterzuordnen und ihren Anweisungen zu folgen, wie ist das für dich?
Das ist für mich das Normalste der Welt. Wir Menschen brauchen eine Struktur mit zugewiesenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten – im Wissen darum, dass Fehler dazugehören.
Wie gehst du mit Fehlern und Fehlentscheiden um?
Innerlich analysiere und spiele ich meine Entscheide nochmals durch und kann nach dem Duschen meistens einen Schlussstrich ziehen. Je nach Tragweite eines Fehlentscheids verfolgt mich die Sache länger. Irgendwann muss ich mir meinen Bock aber vergeben – spätestens vor der Haustüre, wenn ich zu meiner Frau und meinen Kindern komme. Sie dürfen nicht unter meinem Hobby leiden. Ich glaube, das lässt sich auch auf das Leben im Allgemeinen übertragen. Wer nicht lernt, Fehler zu verzeihen, ist irgendwann nicht mehr beziehungsfähig und verliert den Mut, sich der nächsten Herausforderung zu stellen. Das kann ich mir als Schiedsrichter, aber auch als Vater, Ehemann und im beruflichen Kontext als Führungskraft nicht leisten.
Du spielst selbst auch Fussball beim SC Huttwil in den Alterskategorien Ü30 und Ü40. Weshalb verbringst du so viel Zeit auf dem Fussballplatz?
Seit jeher liebe ich das Spiel mit dem Ball und habe in den Fussballvereinen immer wieder Freunde gefunden. Der Zusammenhalt ist gross. Durch meinen Glauben bin ich ein Stück weit der «Teampfarrer». Zu Weihnachten habe ich allen eine Videobotschaft geschickt und ihnen gratuliert, dass sie auch nach Corona im Vereinsleben aktiv geblieben sind. Einsamkeit und soziale Isolation sind ein ebenso grosses Gesundheitsrisiko wie Rauchen oder Übergewicht. Ich ermutige alle Leute, rauszugehen und sich (ehrenamtlich) zu engagieren.
Wer oder was steht in deinem Leben an erster Stelle?
Seit einer Gotteserfahrung als junger Mann ist Jesus Christus zentraler Orientierungspunkt in meinem Leben. Ich kann zu ihm kommen, wie ich bin und abladen, was mich belastet. Er vergibt mir und lässt mich immer wieder neu Hoffnung schöpfen. Mein Glaube gibt mir Kraft, auch in harten Zeiten nicht aufzugeben und einen Blick für das Schöne im Leben zu bewahren. Keine Frage, das Leben hält unzählige Momente der Enttäuschung, Verzweiflung und Einsamkeit bereit. Ich kann nachvollziehen, dass Menschen keinen Sinn im Leben sehen, die Hoffnung verlieren oder zynisch werden. Wer weiss, wo ich ohne die Begegnung mit Jesus heute stünde? Zu erleben, dass da ein Vater ist, der uns liebt, lässt mich das Leben als Geschenk verstehen. In der Folge ist es nur vernünftig, Verantwortung zu übernehmen und meinen Teil dazu beizutragen, damit die Welt zumindest für ein paar Menschen zu einem besseren Ort wird.
Hast du für diese Welt und die Menschheit Hoffnung?
Diese Frage hat mir die Berner Zeitung BZ nach einer Osterverteilung unserer «Hope Emmental» auch gestellt. Meine Gedanken dazu stehen noch heute: «Angesichts der zunehmenden Polarisierung, der immer extremer werdenden Ereignisse und der Art und Weise, wie Menschen in vielen Ländern miteinander umgehen, frage ich mich schon, wohin diese Welt steuert. Wenn ich aber an all die schönen Begegnungen mit Menschen, an meine Kinder und an die Wunder der Natur denke, dann habe ich grosse Hoffnung.»
Dieser Artikel erschien in den Hope Regiozeitungen.
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Datum: 05.07.2024
Autor:
Manuela Herzog
Quelle:
Hope Regiozeitungen