Israel-Krise: «Wir müssen uns ganz neu erfinden»
Thomas Zweifel hat einen christlichen Vater, eine jüdische Mutter und ist durch Freunde und Familie ins Geschehen in Israel persönlich involviert. So wäre seine Tochter um ein Haar an das Musikfestival gegangen, an dem die Hamas 250 junge Menschen massakrierte.
«Antisemitische Brühe»
Der neu erwachte Antisemitismus mit Demonstrationen, Hakenkreuzen und Judensternen auch in der Schweiz erschreckt ihn, obwohl es das Phänomen «seit Tausenden von Jahren» gibt: «Im 19. Jahrhundert war es eher eine Rassentheorie, in den 50er- bis 60er Jahren des 20. Jahrhunderts schürten die Russen die Verschwörungstheorie, dass Juden die Weltherrschaft anstreben. Dann kam der arabische Antisemitismus dazu, den nicht zuletzt die Nazis in den 30en und 40ern in die Araber indoktriniert haben. Jetzt hat sich alles zusammengebraut zu einer antisemitische Brühe von links bis rechts; Israel ist der Agent des Imperialismus und böse, jeder Gewaltakt an einem Juden ist eine gute Tat.»
Die Wahrnehmung von Antisemiten sei dabei pervers, also verdreht: «Opfer werden zu Tätern – die Israelis sind die neuen Nazis, die Genozid und Apartheid betreiben.» Die Realität sei völlig anders: «In Israel sitzen Araber im höchsten Gericht, das sogar den Präsidenten verurteilen kann; Araber sind Generäle in der Armee, es gibt eine Fraktion von Arabern in der Knesset. Gleichzeitig werden die Täter und Terroristen zu Opfern umstilisiert.» In keinem arabischen Land hätten Araber so viele demokratische Rechte wie in Israel.
Die eigentliche Frage
Nach Ansicht von Thomas Zweifel geht es bei der ganzen Auseinandersetzung letztlich nicht um die Frage «Juden oder Palästinenser», sondern um einen Angriff auf die Judaeo-christliche Kultur: «Die Zehn Gebote sind der Grundstein unserer Kultur, und die wird eigentlich bekämpft. Es geht um die Frage `wie wollen wir zusammen leben`, um Nächstenliebe, Toleranz, Menschenrechte – gewinnt Hass oder Liebe, eine Kultur des Todes oder des Lebens?» Israel sei nur der «Brückenkopf» für einen weltweiten Krieg gegen unser Wertesystem.
Messianische Juden erklärten nach dem 7. Oktober: «Unser wichtigstes Anliegen ist, dass die Liebe nicht kaputt geht und dass der Hass nicht gewinnt, auch bei uns nicht.» Zweifel stimmt dem zu: «Wir dürfen nicht zulassen, dass die andere Seite uns auf diese niedrige Stufe bringt und wir nur Rache suchen.» Bei aller Not, die ein Krieg hervorbringt, stellt er fest: «Israel macht es hervorragend – verteilt Flugblätter, hält sich an das Kriegsrecht und die Genfer Konvention.» Er habe noch nie eine Armee erlebt, die so moralisch gehandelt hat, obwohl es sicher auch Menschen gebe, die hassen, erklärt er.
«Abrahamischer Prozess muss weitergehen»
Wie geht es weiter? Zweifel findet, dass der Friedensprozess der «abrahamischen Religionen» und Länder weitergehen muss. «Der Angriff vom 7. Oktober hat gezeigt, wie wichtig dieser Prozess ist; er war eindeutig eine Reaktion auf die Annäherung Saudiarabien-Israel, die der Iran fürchtet.» Iran (Schiiten) und Saudiarabien (Sunniten) sind bekanntlich Erzfeinde, die um die Vorherrschaft im Islam kämpfen. Zweifel: «Das Timing ist unverkennbar. Seit 1993 ist es immer dasselbe: Wenn in einer Annäherung Schritte zum Frieden gemacht wurden, kam sofort eine Intifada – ein Supermittel, um zu sabotieren. Gerade deshalb müssen Saudiarabien und alle Araber, die Angst haben vor dem Iran, sich jetzt mit Israel und dem Westen solidarisieren.»
Schlussendlich hat Thomas D. Zweifel Hoffnung: «Wir haben zu lange geschlafen. Wir müssen uns ganz neu erfinden: Wie wollen wir als Menschen leben, was bedeutet es, Mensch zu sein?» Es sei eine Krisenzeit, aber: «Schlussendlich wird ein Weckruf und eine Reinigung und Neuerfindung stattfinden.»
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Datum: 14.05.2024
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Livenet