Ist die Bibel frauenfeindlich?
In unterschiedlichen Settings diskutiert Heike Breitenstein mit Menschen über deren Fragen bezüglich des christlichen Glaubens. Gerne erklärt sie Sachverhalte, gerät aber auch nicht aus der Fassung, wenn sie mal keine Antwort auf Lager hat. «Ich kenne es, dass ich Fragen nicht beantworten kann. Für mich ist dies aber kein riesiges Problem, denn Christsein bedeutet nicht, auf jede Frage eine Antwort zu haben.» Gerne nimmt sie aber schwierige Fragen auf und recherchiert zum Thema. «Vielleicht treffen wir uns eine Woche später wieder und ich kann mich in der Zwischenzeit mit der Frage beschäftigen.»
Gott stellt modernes und postmodernes Denken auf den Kopf
Im Umfeld von Studierenden trifft man sowohl auf modernes Denken, welches nach der Wahrheit fragt, aber auch auf das postmoderne, welches eher danach fragt, ob etwas berührt, abholt und praktischen Nutzen fürs Leben bietet. Heike schätzt, dass man nicht «modern» oder «postmodern» werden muss, wenn man sich dem Glauben zuwendet. «Das Evangelium knüpft an postmodernem und auch an modernem Mindset an – und stellt irgendwie beides auf den Kopf. Das finde ich spannend.» Letztlich sei es immer ein Wunder, wenn jemand sein «kleines Ja» zu Gottes «grossem Ja» gibt.
Heike ist gegen jedes Denkverbot und will Fragen nicht mit Worten wie «das musst du einfach glauben» abfertigen. In jungen Jahren erlebte sie, dass Menschen sich auf ihre Fragen eingelassen haben. Sie selbst versuche heute, die Beweggründe des Fragenden zu verstehen. Oft merke sie, dass die Ursache für einen Einwand gar nicht intellektueller Natur ist, sondern in schlechten Erfahrungen liegt.
«Die Antike war extrem frauenfeindlich»
Die Frage, ob die Bibel frauenfeindlich ist, war auf Heikes persönlichem Lebensweg wichtig. Als sie sich mit der Bibel auseinanderzusetzen begann, fand sie Stellen, wie beispielsweise, dass Frauen in der Gemeinde schweigen sollen. «Da habe ich mich echt gefragt: Denkt Gott wirklich, dass Frauen minderwertig sind?» Dies führte zur Frage, ob sie als moderne Jugendliche diesem Gott der Bibel überhaupt vertrauen konnte.
«Wenn wir uns mit solchen Fragen beschäftigen, ist es wichtig zu sehen, dass die Bibel in gewisse Zeiten und in einen gewissen Kontext hinein geschrieben wurde. Und wenn ich verstehen will, was die Bibel heute sagt, muss ich verstehen, was sie damals sagen wollte.» So recherchierte sie bezüglich der Antike, der Zeit in welcher Jesus in die Welt kam. «Frauen galten als so etwas wie misslungene Männer. Sie wurden früh verheiratet, ihr Bereich war aufs Haus beschränkt und öffentliche Bereiche waren Männersache. Es war klar: Der Mann herrscht, die Frau wird beherrscht. Die Antike war extrem frauenfeindlich.»
Jesus machte den Unterschied
«Jetzt ist spannend zu sehen, dass Jesus in diesen Kontext hineinkam. Wir sehen, dass Jesus Jüngerinnen hatte, also Frauen, die mit ihm unterwegs waren. Wir sehen auch, wie Jesus eine Frau ermutigte, von ihm zu lernen und zu seinen Füssen zu sitzen.» Frauen das Lernen zu ermöglichen, sei damals unüblich gewesen und Jesus habe sich damit gewiss keinen Respekt eingehandelt.
Besonders begeistert Heike die Tatsache, dass Frauen die ersten Zeugen der Auferstehung von Jesus waren. «Das ist total faszinierend, weil Frauen damals überhaupt keine Stimme vor Gericht hatten. Ihr Zeugnis vor Gericht war wertlos. Sie waren aber die ersten Zeuginnen der Auferstehung.» Jesus war überhaupt nicht frauenfeindlich, sondern begegnete ihnen mit Wertschätzung und Anerkennung. Im Neuen Testament sehe man, dass Frauen wichtige Stellungen in der Gemeinde eingenommen haben. Heike erwähnt Junia, Phöbe oder Priscilla. «Man muss Paulus zugutehalten, dass er Mitarbeiterinnen hatte, dass Frauen öffentlich gebetet und geweissagt haben – da sind nicht nur frauenfeindliche Stellen, sondern es gab auch Mitarbeiterinnen und Frauen als Teil der Gemeinde.»
Warum gibt es «frauenfeindliche» Aussagen in der Bibel?
«Damals war die Gemeinde in keiner einfachen Situation», erklärt Heike den Grund für kritische Aussagen in der Bibel. «Die ersten Christen wurden niedergedrückt und galten als komische Sekte. Sie verehrten den Kaiser nicht und ein Verbrecher, der am Kreuz hingerichtet worden war, war plötzlich ihr Gott.» Heike glaubt, dass gewisse Aussagen von Paulus in dem Sinne zu verstehen sind, dass er es als notwendig erachtete, gewisse kulturelle Sitten beizubehalten, damit das Evangelium nicht in Verruf kam. So seien die Aussagen von Paulus als Aufforderung zu verstehen, das kulturell Übliche zu tun, weil zu jenem Zeitpunkt einfach nicht mehr drin gelegen sei.
Heike spricht auch einen Text aus dem Epheserbrief Kapitel 5 an, wo der Mann als Haupt der Frau bezeichnet wird. Im gleichen Text ist aber auch von gegenseitiger Unterordnung die Rede und davon, dass der Mann der Frau dienen soll. In jener Zeit waren dies äusserst provokante Äusserungen, welche den Wert der Frau immens anhoben. Auch dem Schöpfungsbericht ist nichts von einer Herrschaft des Mannes über die Frau zu entnehmen. Eine solche sieht Heike als Folge des Sündenfalls und entsprechende Bibeltexte würden einfach eine Welt beschreiben, die nicht so ist, wie sie sein sollte.
Heike Breitenstein ist Mitarbeiterin vom Pontes Institut für Wissenschaft, Kultur und Glaube.
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Datum: 31.10.2023
Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Livenet