Gefangen im eigenen Körper – und doch nicht allein
Hoffnung. Ein grosses Wort. Manchmal auch ein abgenutzter Begriff. Ich habe gelernt, den Begriff Hoffnung kritisch zu sehen – je nachdem, wer diesen Begriff benutzt. Einige Leute haben mir ihre Predigten oder Vorträge geschickt, in denen sie über Hoffnung, über Gottes Hilfe gesprochen haben. Ich habe mir manche dieser Vorträge angehört. Die wenigsten haben mich angesprochen oder mir geholfen. Vor allem dann, wenn Menschen theoretisch über das Thema Hoffnung gesprochen haben, wie sie es vielleicht in der Bibel gelesen und verstanden haben. Das hatte oft mit dem Leben nichts zu tun.
Die Hoffnung, von der da gesprochen wurde, war eine sehr theoretische Hoffnung. Sicherlich war alles theologisch richtig. Aber es war nicht zu Hause in dem Leben der Menschen, die das gesagt oder geschrieben haben. Vielleicht sollten wir ohne eigene Not nicht von der Hoffnung reden.
Dabei brauchen wir Hoffnung. Ich brauche Hoffnung. Ich brauche Hoffnung, die durch echte Not gegangen ist. Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: «Wir freuen uns auch über die Nöte, die wir jetzt durchmachen.» Ich bin sehr dankbar, Menschen begegnet zu sein, die wissen, was sie meinen, wenn sie von der Hoffnung sprechen.
Unvorbereitet
Meine Not traf mich unvorbereitet. Im Herbst vor zwei Jahren war ich noch sehr aktiv unterwegs. Ich habe Gemeinden beraten und Wochenendseminare durchgeführt. Dann passierte es. Ich wollte – wie immer – eine Treppe hinauf gehen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte meinen Fuss nicht heben und auf die nächste Stufe treten. Das war verwirrend. An der Kraft konnte es nicht liegen. Aber es ging trotzdem nicht. Das alles war völlig unverständlich. Ich hatte das noch nie vorher erlebt. Irgendwie habe ich mich dann am Treppengeländer nach oben gezogen. Von da an hatte ich ein Taubheitsgefühl in den Füssen und Händen.
Alles ging dann schnell. Sechs Wochen später, nach einem Sturz auf der Strasse, kam ich ins Krankenhaus. Die Ärzte diagnostizierten eine neurologische Erkrankung, bei der die Hüllen der peripheren Nervenbahnen angegriffen werden – Polyneuropathie. Das schränkte meine Mobilität stark ein. Ein Jahr nach dem Erlebnis auf der Treppe sass ich im Rollstuhl. Schlimmer noch, ich lag hilflos und bewegungsunfähig im Bett. Ich konnte nichts tun, ausser denken und reden, lachen und weinen. Zwei Therapieversuche der Ärzte waren bis dahin gescheitert. Auf mich wartete nur noch das Pflegeheim. Eines Tages schaute mich in der Strassenbahn ein kleiner Junge an und sagte: «Ein alter kranker Mann». Recht hatte er. Das war ich.
Es begann eine schwierige Zeit. Weil ich die Treppe nicht mehr benutzen konnte, musste ich im Wohnzimmer in meinem Pflegebett schlafen. Nicht nur, dass ich jetzt nachts allein war. Die Krankheit machte mich sehr unruhig. Ich konnte oft nicht schlafen. So grübelte ich über meine Zukunft. Was nun? Hilflos, allein, ich versuchte zu beten.
«Warum ich nicht?
Ich hörte bald die Stimmen in meinem Umfeld, die ungefähr dieses sagten: «Da hat er sein ganzes Leben für Gott gearbeitet und im Ruhestand lässt Gott ihn im Stich. Das ist nicht fair! Warum lässt Gott das zu?»
Das waren Gedanken, die ich so nie gedacht habe. Gegenfrage: Warum ich nicht? Für mich tauchten Worte aus der Bibel auf. Zum Beispiel aus der Bergpredigt: «Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.» (Matthäus Kapitel 5, Vers 45)
Gott lässt die Sonne aufgehen und lässt es regnen über alle. Und jetzt hat es eben mich getroffen. Warum auch immer. Ich kann in der Bibel nicht finden, dass wir als Christen von Leid oder Krankheit verschont bleiben. Das ist uns jedenfalls nicht versprochen.
Ein anderes Wort, das für mich wichtig wurde, entstammt dem Buch Hiob: «Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!» (Hiob Kapitel 1, Ver 21) Dieses Wort gehörte sonst nicht zu meinem Repertoire der Bibelstellen, mit denen ich mich beschäftigte. Aber hier, in dieser Situation, tauchte es in meinen Gedanken auf. Und wurde für mich eine Hilfe.
Täter des Wortes?
Wenn auch die Frage nach dem «Warum» keine Rolle in meinem Leben spielt, dann doch eher die Frage nach dem «Wozu». Wozu soll das alles gut sein? Im Jakobusbrief heisst es: «Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein.» (Jakobus Kapitel 1, Vers 22) Ich habe ein Problem mit diesem Satz. Ich hätte dem Jakobus geantwortet: «Das ist ja schön und gut, was du hier schreibst. Wie aber soll ich dieses Bibelwort umsetzen, wenn ich gar nichts tun kann?»
Dabei hätte ich so gerne etwas getan: Gott, in deinem Wort heisst es, wir sollen Täter sein, aber du hast mich einfach Matt gesetzt. Dabei hätte ich so gerne etwas getan, ich hätte alles getan, wenn ich etwas hätte tun können. Ich will Fenster putzen oder Wäschewaschen oder was auch immer. Meine Frau hat sich sehr darüber amüsiert, was ich auf einmal alles tun wollte...
Was hat Detlef Kauper in dieser Krankheitszeit gelernt? Lesen Sie den zweiten Teil seines Artikel in den nächsten Tagen bei Livenet.
Zum Thema:
Damaris Hunziker: Übernatürlich glücklich trotz schwerer Krankheit
Helmut Eschbacher: Von Versöhnung, chronischer Krankheit und Wundern
Reto Kaltbrunner: Wenn die Heilung ausbleibt
Datum: 30.05.2024
Autor:
Detlef Kauper
Quelle:
Magazin Aufatmen 2/2024, SCM Bundes-Verlag