«Wenn Kinder andere Wege gehen»
«Wenn Kinder andere Wege gehen»: So heisst das Buch, welches von Nicola Vollkommer und Regula Lehmann geschrieben wurde. Letztere spricht im Livenet-Talk mit Moderatorin Annina Baer über Hintergrund, Inhalt und Wirkung des Buches. Eltern und Kinder kommen darin zu Wort und berichten von ihrem Erleben und Ringen um familiäre Beziehungen.
Das Buch spricht viele an
«Viele Eltern sagten: Wir haben uns verstanden gefühlt», so beschreibt Regula eine häufige Reaktion auf das Buch. Viele wollen sich mit dem Thema auseinandersetzen und schätzen es, von den Erfahrungen anderer zu lernen. «Grundsätzlich hat sich das Buch sehr gut verkauft. Das ist immer ein Zeichen, dass mit einem aktuellen Thema in die Zeit hineingesprochen wird.»
«Wenn Kinder andere Wege gehen» ist kein typischer Elternratgeber. Regula glaubt, dass ein typisches Lehrbuch über den Umgang mit Kindern, die andere Wege gehen, schnell verletzend wirken würde. Deshalb war den Autorinnen wichtig, mit Eltern eine Wegstrecke zu gehen, die durch schwierige Zeiten mit ihren Kindern hindurchgegangen sind und gleichzeitig an gewissen Werten festgehalten haben. «Wir haben gemerkt, dass in allen Debatten um Sexualethik die persönliche Betroffenheit eine sehr grosse Rolle spielt. Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene zu Wort kommen.»
Welche Werte sind uns Spannungen wert?
Eine verbreitete Meinung sagt, dass Eltern ihre Kinder verlieren, wenn sie an Werten festhalten, welche die Kinder nicht leben. «Wir haben aber etliche Eltern gefunden, die sagen, eine gute Beziehung zu ihrem Kind zu haben, obwohl sie sich nicht angepasst haben.» Die Autorinnen wollten dem Weg nachspüren, bei dem es ohne Anpassung, vor allem aber auch ohne Abbruch der Beziehung geht.
Das Buch macht Eltern Mut, sich Gedanken darüber zu machen, welche Werte es ihnen wert sind, um dafür Spannungen auszuhalten. Wenn uns etwas nicht wichtig sei, könnten wir uns problemlos anpassen und dadurch zwischenmenschliche Spannungen vermeiden.
Beziehungsabbruch? Unvorstellbar!
Annina fragt, ob Regula eine Situation sehe, in welcher der Beziehungsabbruch mit dem Kind angebracht sei. «Von mir aus die Beziehung abbrechen – das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.» Regula versteht auch Gott so, dass von seiner Seite her die Türe immer offen ist. Sie erwähnt aber auch Eltern, die aus Selbstschutz oder zum Schutz der Familie eine Distanz aufrichten mussten. «Vom Herz her eine Beziehung abzubrechen, möchte ich als Mutter nie tun. Diese Beziehung ist fürs Leben und das Kind ist mir wichtig – egal welche Wege es geht.»
Der Lebensstil des Kindes würde auch nichts an dessen Wert als Mensch ändern. «Wir dürfen nicht zur Annahme kommen, dass ein Kind, das sich richtig verhält, mehr Wert hat», sagt sie entschieden. «Menschen, die nichts mit Gott zu tun haben wollen, sind genauso wertvoll, wie jene, die alles richtig zu machen glauben.»
Eltern können den Kindern keine Werte aufzwingen
Regula ist überzeugt, dass die Bibel uns Werte vermittelt, welche zum Leben führen. Dies gelte gerade auch für sexualethische Fragen. Als Mutter sieht sie eine Aufgabe darin, ein Wegweiser zu diesen Werten zu sein. Wenn sich das Kind für einen anderen Weg entscheide, könne sie nicht plötzlich ihre Überzeugungen aufgeben. In der Praxis gäbe es dann aber unterschiedliche Arten, wie mit diesem Spannungsfeld umgegangen wird. Die verschiedenen im Buch beschriebenen Personen zeigen hier ein hilfreiches Bild auf.
Grundsätzlich können Eltern ihren Kindern keine Werte aufzwingen. Je nach Alter können gewisse Dinge durchgesetzt werden, letztlich müssen die Kinder aber selbst entscheiden, wie sie leben wollen.
Motive und falsche Erwartungen
«Wir haben natürlich den Wunsch, als Eltern gut dazustehen», gibt Regula zu. «Wir haben aber auch den Wunsch, dass das Leben unserer Kinder gelingt.» Die eigene Motivation müsse da immer wieder geprüft werden. Als Eltern bestünde die Verantwortung nicht im Lebensstil des Kindes, sondern darin, einen guten Weg zu beschreiben und vorzuleben. «Ich kann das Herz meines Kindes nicht beherrschen und es ist die Freiheit meines Kindes, einmal selbst zu entscheiden, welchen Weg es gehen will.»
Im Talk geht es auch um die oft übertriebenen Erwartungen an die Vorbildfunktion der Familien christlicher Leiter. Regula plädiert auf ein Umdenken und wünscht sich die Grundhaltung, einander gegenseitig zu unterstützen, gerade in Schwierigkeiten.
Teenager schätzen klare Überzeugungen
«Teenagern macht es Eindruck, wenn sie sehen, dass wir Überzeugungen haben, die uns wirklich etwas wert sind.» Eltern würden unglaubwürdig, wenn sie ihre Vorsätze bei aufkommenden Spannungen über den Haufen werfen. Deshalb betont Regula, dass es wichtig sei, sich über die Wichtigkeit von Werten bewusst zu werden. Wenn gewisse Punkte den Eltern gar nicht so wichtig sind, sei es vielleicht besser, gar nicht gross auf sie zu pochen. «Wenn uns Überzeugungen nur wichtig sind, um damit einen guten Eindruck zu hinterlassen, sind sie es nicht wert, dafür zu stehen.»
Sehen Sie sich den Livenet-Talk mit Regula Lehmann an:
Zum Buch:
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Datum: 31.05.2023
Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Livenet