Entscheidung über der WC-Schüssel
Michelle, wir sind sehr gespannt auf deine Geschichte. Was hast du erlebt?
Michelle Oswald: Schon mit 15 habe ich den Reiz von Partys, Alkohol und Kiffen entdeckt. Das war mein Lebensinhalt. Ich habe die Wochenenden durchgefeiert – aber immer über den Sinn des Lebens nachgedacht. Damals beschloss ich, für den Augenblick zu leben und nicht für den Erfolg. Ich suchte nach Erfüllung.
Wie lang hast du diesen Lifestyle durchgehalten?
Meine «wilde Phase» dauerte etwa fünf Jahre, also bis zu meinem 20. Lebensjahr. Mit 18 hatte ich ein Schlüsselerlebnis, das mein Leben nachhaltig geprägt hat. Eine gute Freundin lud mich eines Tages zu einem Gottesdienst ein. Weil ich wissen wollte, was die «spiessigen» Christen so treiben, nahm ich die Einladung an. Der Gottesdienst war damals sehr bewegend, ich spürte die Gegenwart Gottes so stark, dass ich fast zu weinen begann. Ich wusste, dass die Menschen hier etwas besassen, was ich noch nicht hatte – und ich spürte den Wunsch, das Gleiche zu erleben.
Hast du diese Spur und dieses Spüren weiterverfolgt?
Absolut, ich bin hartnäckig geblieben. Ich habe gespürt, wenn es auch nur eine einprozentige Chance gibt, dass das mit dem Jesus stimmt, dann würde dies mein Leben verändern. Weil ich den Lebensstil mit dem Ausgehen, dem Alkohol und dem Kiffen liebte und nicht bereit war, darauf zu verzichten, hatte ich innere Konflikte. Die Freundin lud mich erneut zu einer Veranstaltung ein. Mit meinem damaligen Freund ging ich hin. Ich hatte das Gefühl, dass alle um mich herum auf Drogen waren, aber
die einzigen, die wahrscheinlich Drogen genommen hatten, waren mein Freund und ich. Nach der Veranstaltung gab es die Möglichkeit, Fragen zu stellen, ich ging zu einer Person und wir tauschten über eine Stunde lang meine Fragen aus. Mein Hintergedanke war, dass ich einfach genug herausfinden muss, um mit Sicherheit sagen zu können, dass der Glaube nichts für mich ist. Aber diese Erkenntnis kam nicht.
Bist du weiterhin in diese Kirche gegangen?
Ja – und nachdem mich eine andere Kollegin zu einem Alphalive-Kurs eingeladen hatte, begann mein Doppelleben. Auf der einen Seite merkte ich, dass es mir sehr guttat, über Jesus zu sprechen und mit Christen zusammen zu sein. Auf der anderen Seite war ich immer noch nicht bereit, meinen Lebensstil aufzugeben. Ich habe einen Deal mit Jesus gemacht, dass ich zwar in die Kirche komme und Zeit mit ihm verbringe, aber die Männergeschichten, das Kiffen und die Partys mein Ding bleiben. Nebenbei hatte ich noch eine Beziehung mit einem Grasdealer, so dass ich einfach an Nachschub kam. Ich rauchte immer mehr, in der Spitze bis zu vier Joints am Tag.
Wie ging es dir in dieser Zeit?
Ich war gespalten. Ich merkte, dass mein Leben vom Gras bestimmt war. Ich hatte nur noch Kiffer-Freunde und unternahm kaum noch etwas mit anderen, wenn ich nicht rauchen konnte. Ich betete zu Jesus, dass er mir helfen möge, davon loszukommen, indem er mich zum Erbrechen bringt oder mir das ganze Zeug auf einmal zuwider ist. Irgendein Wunder musste geschehen! Nach meiner Ausbildung als FaBeK hatte ich noch mehr Freizeit, habe noch mehr geraucht und dann nach einer Überdosis heftig erbrochen. Den Kopf über der WC-Schüssel beschloss ich, mit dem Kiffen aufzuhören. Durch diese Entscheidung verlor ich meine Kiffer-Freunde. Ich war nun allein, weil ich noch kein christliches Umfeld hatte. Aber ich wollte Jesus mein ganzes Leben überlassen, ich hielt die Spannungen in meinem Doppelleben nicht mehr aus.
Inzwischen sind einige Jahre vergangen. Inwiefern hat sich dein Leben verändert?
Als ich Jesus sagte, dass er mein Leben bestimmen soll und ich ihm dienen will, wusste ich noch nicht, welche Folgen das haben würde. Zuerst durchlief ich eine heftige Entzugsphase. Für meine Familie war es schwer, den ganzen Prozess mitzuerleben, denn es ging mir nicht sofort besser. Meine Entscheidung für Jesus hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt, ich musste mir neu überlegen, was ich mit meinen Wochenenden anstellen soll, wenn ich nicht auf Partys gehen konnte. In der Kirche fühlte ich mich in diesem Lernprozess nicht verstanden, denn die Leute konnten nicht nachvollziehen, was es bedeutet, wenn man das Partymachen vermisst und nicht weiss, was man sonst unternehmen soll. Ich war zunächst einsamer als zuvor.
Wie haben deine Eltern auf die neue Michelle reagiert?
Meine Mutter ist streng katholisch aufgewachsen und konnte sich nicht vorstellen, dass Gott nicht strafend und streng ist. Ich habe ihr gesagt, dass er mich liebt und mein Freund sein will, das war für sie befremdlich. Mein Vater dagegen hatte eher Angst, dass ich ausgenutzt werde, wenn ich mich in der Gemeinde engagiere. Heute stehen beide dem christlichen Glauben sehr offen gegenüber.
Wie gestaltest du heute dein Leben und was machst du beruflich?
Meine Freizeit sieht heute ganz anders aus. Wir haben eine Hauskirche und ich liebe es, zusammen zu beten, die Bibel zu lesen und christliche Lieder zu singen. Man lebt Gemeinschaft, streitet sich auch mal und versöhnt sich dann wieder. Dieser authentische Lebensstil gefällt mir sehr. Auch in der Natur tanke ich auf und unterhalte mich beim Spazierengehen gern mit Gott und lese viel. Gemeinsame Zeiten und der Austausch mit Freunden sind mir ebenfalls wichtig. Nebst meinem Studium als Sozialpädagogin arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen, die in schwierigen Familienverhältnissen aufwachsen. Dort gehe ich sehr transparent mit meinem Glauben um, ohne ihn jemandem aufzudrängen. Mein Team und die Klientinnen und Klienten wissen, dass ich Christin bin. Sie wissen auch, dass ich ihnen gerne helfe, wenn sie Fragen zum Glauben haben. Ich arbeite bewusst in einem säkularen Betrieb, weil ich den Kontakt zu kirchenfernen Menschen als sehr wertvoll empfinde. Immer wieder bietet sich die Möglichkeit, ihnen erzählen, dass Gottes Liebe das Leben positiv verändern kann. Ich bin der beste Beweis dafür!
Michelle's Geschichte wird in den Herbstausgaben der Hope Regiozeitungen zu finden sein. Mehr Informationen finden Sie hier.
Sehen Sie sich den Hope-Talk mit Michelle Oswald an:
Zum Thema:
Dossier: Livenet-Talk
Mit Jesus auf Mallorca: Strandgottesdienste statt Party
Trudy Makepeace: Sie versuchte 33-mal, von Drogen freizukommen
Nach schrecklicher Kindheit: Vom Alkohol fast zerstört